Der Krieg am Ende der Welt
gingen.
Sie haben sich daran gewöhnt, sie denken sich nichts mehr dabei, denkt Antônio Vilanova. Dabei hat es fast einen Aufstand gegeben, als João Abade sie zum erstenmal überreden wollte, Soldatenuniformen anzuziehen. Selbst Antônio Vilanova hatte bei diesem Vorschlag Aschengeschmack im Mund. Anzuziehen, was das Böse, Gefühllose, Feindliche in der Weltsymbolisierte, widerstrebte ihm zutiefst und er verstand, daß sich die Männer von Canudos weigerten, in den Kleidern des Hundes zu sterben. Und doch haben wir uns geirrt, denkt er. Und João Abade hat wie immer recht behalten. Denn die Informationen der mutigen »Kleinen«, die sich ins Lager schlichen, um Ameisen, Schlangen, Skorpione auszusetzen und Gift in die Trinkschläuche der Truppe zu tun, konnten nie so genau sein wie die gestandener Männer, vor allem wie die entlassener oder desertierter Soldaten. Pajeú war es, der das Problem löste, als er sich nach einer Diskussion in den Schützengräben von Rancho do Vigário in der Uniform eines Feldwebels vorstellte und verkündete, er werde sich durch die Linien stehlen. Alle wußten, daß er anders nicht unbemerkt durchkommen würde. João Abade fragte die Jagunços, ob sie es für richtig hielten, daß Pajeú sich opfere, um ihnen ein Beispiel zu geben und die Furcht vor diesen mit Knöpfen besetzten Klamotten zu nehmen. Mehrere Männer aus der alten Bande Pajeús erboten sich, Uniformen anzuziehen. Und seit diesem Tag hatte der Straßenkommandant keine Schwierigkeiten mehr, Jagunços in die Lager einzuschleusen.
Nach mehreren Stunden halten sie, um zu rasten und zu essen. Unter dem bleifarbenen Himmel sind in der einsetzenden Dunkelheit der Cambaio und die zerklüftete Serra da Canabrava zu erkennen. Die Jagunços sitzen im Schneidersitz im Kreis. Sie holen Händevoll Maisklöße und Dörrfleisch aus ihren Umhängetaschen. Schweigend essen sie. Antônio Vilanova spürt die Müdigkeit in den verkrampften, geschwollenen Beinen. Ist er alt geworden? In diesen letzten Monaten hat er dieses Gefühl. Oder ist es die Anspannung? Die durch den Krieg bedingte hektische Betriebsamkeit? Er hat so abgenommen, daß er neue Löcher in den Gürtel gemacht hat, und Antônia Sardelinha mußte ihm seine zwei Hemden enger nähen, so schlotterten sie. Aber geht es nicht allen Männern und Frauen in Belo Monte wie ihm? Sind nicht auch João Grande und Pedrão mager geworden, die früher die reinsten Riesen waren? Ist nicht auch Honório gebückt und grau geworden? Und sind nicht auch João Abade und Pajeú älter geworden?
Von Norden hört er das Dröhnen einer Kanone. Eine kurzePause, dann mehrere Kanonenschüsse hintereinander. Antônio und die Jagunços springen auf und setzen mit langen Schritten ihren Weg fort. Nach fünf Stunden Marsch unter fast ununterbrochenem Kanonendonner erreichen sie im Morgengrauen über den Taboleirinho die Stadt. Bei den Quellen, wo die Häuser beginnen, erwartet sie ein Bote, um sie zu João Abade zu bringen. Sie finden ihn in den Schützengräben von Fazenda Velha, die durch doppelte Besatzung verstärkt worden sind und in denen alle Mann, den Finger am Abzug ihrer Flinten und Arabergewehre, im Zwielicht der Frühe auf die Hänge der Favela spähen in Erwartung der Freimaurer, die von dort herabströmen werden. »Gelobt sei der gute Jesus Ratgeber«, murmelt Antônio, und ohne den Gruß zu erwidern, fragt ihn João Abade, ob er unterwegs Soldaten gesehen hat. Nein, nicht einmal eine Patrouille.
»Wir wissen nicht, von wo sie angreifen werden«, sagt João Abade, und der ehemalige Kaufmann sieht ihm die Sorge an. »Wir wissen alles, außer der Hauptsache.«
Er nimmt an, daß sie auf dem kürzesten Weg angreifen werden, und deshalb ist der Straßenkommandant mit dreihundert Jagunços Verstärkung zu Pajeú in diesen Schützengraben gekommen, der sich über eine viertel Meile vom Fuß des Monte Mário bis zum Taboleirinho hinzieht.
João Abade erklärt ihm, daß Pedrão den Osten von Belo Monte absichert, die Zone der Pferche und Saatfelder, und den Buschwald, durch den sich die Fahrwege nach Trabubú, Macambira, Cocorobó und Jeremoabo schlängeln. In der Stadt, die unter dem Schutz João Grandes und der Katholischen Wachmannschaft stehe, seien in Gassen und an Kreuzungen neue Schutzwälle errichtet worden, auch das Geviert um die Kirchen und das Sanktuarium, dieses Zentrum, auf das die Kanonen und alle Sturmbataillone sich konzentrieren werden, sei verstärkt worden.
Antônio möchte
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