Der Krieg am Ende der Welt
fiel, weil sie die Sklaverei abgeschafft hatte. Alle in Canudos glaubten, daß die Republik die Sklaverei wieder einführen wollte.«
»Und Sie glauben, ich und meine Freunde hätten dem Ratgeber solches Zeug eingeredet?« lächelte der Baron abermals. »Wir hätten jeden, der uns das vorgeschlagen hätte, für einen Dummkopf gehalten.«
»Und doch erklärt das vieles«, hob der Journalist die Stimme.
»Zum Beispiel den Haß auf die Volkszählung. Ich habe mir denKopf zerbrochen nach einer Erklärung für diesen Haß, und darin liegt sie: Rasse, Hautfarbe, Religion. Warum wollte die Republik Rasse und Hautfarbe der Leute in Erfahrung bringen, wenn nicht um die Neger wieder zu Sklaven zu machen? Und wozu die Religion, wenn nicht um vor dem Blutbad die Gläubigen festzustellen?«
»Ist das das Mißverständnis, das Canudos erklärt?« sagte der Baron.
»Eines unter anderen«, schnaufte der kurzsichtige Journalist.
»Ich wußte, daß die Jagunços nicht von irgendeinem Politikaster irregeführt worden waren. Aber ich wollte es von Ihnen selbst hören.«
»Nun haben Sie es gehört«, sagte der Baron. Was hätten seine Freunde gesagt, wenn sie etwas derart Phantastisches hätten ahnen können? Daß die Armen im Sertão, Männer und Frauen, den Namen der Infantin Isabel auf den Lippen, zu den Waffen greifen würden, um gegen die Republik aufzustehen! Nein, es war zu irreal, als daß ein einziger brasilianischer Monarchist auch nur im Traum auf diesen Gedanken gekommen wäre.
Der Bote von João Abade erreicht Antônio Vilanova vor Jueté, wo der ehemalige Kaufmann mit vierzehn Jagunços im Hinterhalt liegt, um einem Transport von Rindern und Ziegen aufzulauern. Die Nachricht, die er erhält, ist so ernst, so schwerwiegend, daß Antônio beschließt, nach Canudos zurückzukehren, ohne zu Ende zu bringen, was ihn hierher geführt hat: Essen zu beschaffen. Schon dreimal seit der Ankunft der Soldaten hat er das getan, jedesmal mit Erfolg: fünfundzwanzig Rinder und ein paar Dutzend Schafe das erstemal; acht Kühe das zweitemal, und das drittemal ein Dutzend, dazu einen Planwagen voll Mehl, Kaffee, Zucker und Salz. Mit der Begründung, João Abade, Pajeú, Pedrão und João Grande seien in Belo Monte unabkömmlich, hat er darauf bestanden, selbst diese Streifzüge zu leiten, die dazu bestimmt waren, die Jagunços mit Essen zu versorgen. Und nun überfällt er seit drei Wochen auf der Straße nach Rosario Transporte, die aus Queimadas und Monte Santo Lebensmittel auf die Favela bringen.Die Ausführung ist relativ einfach, und der ehemalige Kaufmann mit seiner Gründlichkeit und seinem Organisationstalent hat sie bis zur Wissenschaftlichkeit perfektioniert. Der Erfolg beruht vor allem auf den Informationen und der Mitarbeit der Spurensucher und Lastträger der Soldaten, Jagunços zum größten Teil, die sich in den Ortschaften zwischen Tucano und Itapicurú haben anwerben lassen. Sie halten ihn auf dem laufenden über die Bewegungen der Transporte und helfen ihm, den Ort für den letzten Teil der Operation, den Überfall, festzulegen. An der vereinbarten Stelle – meistens ein Hohlweg oder eine besonders laubreiche Gegend und immer nachts – stürmen Antônio und seine Leute plötzlich zwischen die Herde und vollführen mit ihren Stutzen, Dynamitpatronen und Holzpfeifen einen Höllenspektakel, so daß die Tiere verschreckt in die Caatinga laufen. Während Antônio und seine Männer die Truppe mit Schüssen ablenken, fangen Spurensucher und Lastträger so viele Tiere ein, wie sie können, und treiben sie auf einem vereinbarten Abkürzungsweg – die Straße von Calumbí, die kürzeste und sicherste, kennen die Soldaten noch nicht – nach Canudos. Dort holen Antônio und die anderen sie später wieder ein.
So wäre es auch jetzt geschehen, wenn nicht diese Nachricht gekommen wäre, daß die Hunde von einem Augenblick auf den anderen Canudos angreifen werden. Mit zusammengebissenen Zähnen und gerunzelter Stirn beschleunigen Antônio und seine vierzehn Gefährten den Schritt. Ein einziger Gedanke treibt sie voran: bei den anderen in Monte Belo und um den Ratgeber zu sein, wenn die Gottlosen angreifen. Wie hat der Straßenkommandant erfahren, daß der Angriff geplant war? Zwei Jagunços, die in Soldatenuniform die Favela durchstreift haben, sagt der Bote, ein alter Viehhirt, hätten die Nachricht gebracht. Er sagt es natürlich, als wäre es ganz normal, daß Söhne des guten Jesus als Teufel verkleidet unter die Teufel
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