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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sein, mit heiler Haut dort anzukommen. Aber das Zittern seiner Beine und der Aufruhr in seinem Blut sagen ihm, daß weder er noch sonst einer der Überlebenden schneller gehen könnte. Der alte Zósimo schwankt, vorübergehend schwinden ihm die Sinne. Er klopft ihm den Rücken, spricht ihm Mut zu, stützt ihn beim Gehen. Stimmt es, daß dieser alte Mann, bevor ihn der Engel streifte, drauf und dran gewesen war, den Löwen von Natuba lebendig zu verbrennen?
    »Sehen Sie hinüber zum Haus von Antônio, dem Feuerwerker, Compadre!«
    Heftiges, knatterndes Gewehrfeuer kommt aus dem Viertel auf der Anhöhe vor dem alten Friedhof, dessen wie Hieroglyphen verschlungene Gassen als einzige in Canudos nicht nach Heiligen, sondern nach Gestalten aus den Troubadourgeschichten benannt sind: Königin Magelone, Robert der Teufel,Silvaninha, Karl der Große, Fierabras, die Pairs von Frankreich. Dort sind die neuen Pilger angesiedelt. Sind sie es, die so wütend auf die Gottlosen schießen? Dächer, Türen, Straßeneingänge speien Feuer auf die Soldaten. Plötzlich entdeckt er unter den liegenden, stehenden, hockenden Silhouetten der Jagunços die unverwechselbare Gestalt Pedrãos, der mit seiner Muskete hierhin und dorthin springt, und er ist sich sicher, aus dem ohrenbetäubenden Knattern der Schüsse die Waffe des riesenhaften Mulatten herauszuhören. Pedrão hat sich immer geweigert, dieses alte Schießeisen aus seinen Banditenzeiten gegen Repetiergewehre wie die Mannlicher oder die Mauser zu vertauschen, obwohl die fünf Schuß haben und schnell zu laden sind, während er der Muskete nach jedem Schuß den Lauf säubern und Pulver einfüllen und ihn verschließen muß, ehe er seine ausgefallenen Projektile abschießen kann: Eisenstücke, Limonit-, Blei-, Wachsbrocken, Glas, sogar Steine. Doch Pedrão besitzt eine erstaunliche Geschicklichkeit und vollführt die Handgriffe mit einer Geschwindigkeit, die wie seine außerordentliche Zielgenauigkeit an Hexerei grenzt. Er ist froh, ihn hier zu sehen. Wenn Pedrão und seine Männer Zeit gehabt haben zurückzukehren, dann werden auch João Abade und Pajeú wieder in der Stadt sein und Belo Monte wird gut verteidigt. Knapp zweihundert Meter trennen sie noch von der ersten Linie Schützengräben, und die vorausgehenden Jagunços winken schon und rufen, damit die Verteidiger sie erkennen und nicht auf sie schießen. Einige laufen; er und Honório tun es ebenfalls, halten aber gleich wieder an, weil der alte Zósimo ihnen nicht folgen kann. Sie packen ihn an den Armen und schleifen ihn vorwärts, gebückt, unter einem Hagel von Schüssen, von denen Antônio glaubt, sie seien auf sie drei gerichtet. Sie erreichen den ehemaligen Straßeneingang, der jetzt ein Wall aus Steinen, Sandkanistern, Brettern, Dachziegeln, Backsteinen und jeder Art von Gegenständen ist, überragt von einer dichten Reihe von Schützen. Viele Hände strecken sich ihnen entgegen. Antônio fühlt sich hochgehoben, herabgelassen und auf der anderen Seite des Schützengrabens abgestellt. Er setzt sich, um auszuruhen. Jemand reicht ihm einen Schlauch Wasser. In kleinen Schlucken, mit geschlossenen Augen trinkt er das Wasser und fühlt in einer schmerzhaften und zugleich glücklichen Empfindung, wie die Flüssigkeit seine Zunge, seinen Gaumen, seine Kehle befeuchtet, die sich wie Schmirgel anfühlen. Von Zeit zu Zeit, wenn das Sausen in seinen Ohren aussetzt, kann er das Schießen hören, das »Nieder mit der Republik, mit den Gottlosen«, die Hochrufe auf den Ratgeber und den guten Jesus. Aber irgendwann dazwischen – die große Müdigkeit läßt nach, gleich wird er aufstehen – sagt er sich, daß die Jagunços nicht »Es lebe die Republik!«, »Es lebe Marschall Floriano!«, »Nieder mit den Verrätern!«, »Nieder mit den Engländern« schreien können. Wie können die Soldaten so nahe sein, daß er ihre Stimmen hört? Die Trompetensignale hallen in seinen Ohren. Immer noch sitzend, schiebt er fünf Kugeln in die Trommel seines Revolvers. Als er die Mannlicher lädt, sieht er, daß es die letzten Patronen sind. Mit einer Anstrengung, daß ihm alle Knochen weh tun, steht er auf und klettert, mit Ellenbogen und Knien nachhelfend, auf die Barrikade. Sie machen ihm einen Platz frei. In weniger als zwanzig Meter Entfernung laden die Soldaten, dicht zusammengedrängt, die Gewehre. Ohne zu zielen, ohne nach Offizieren zu suchen, jagt er seine Revolverkugeln in den Haufen, dann schießt er die Mannlicher leer und spürt bei

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