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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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beginnt zu schießen. Er wird keine Zeit haben, die Waffe zu laden, also zielt er bei jedem Schuß sorgfältig. Er hat die Hälfte des Abstandes zurückgelegt, der ihn von den Reitern trennt. Die Reiter bewegen sich vor ihm im Staub, und er fragt sich, wieso sie ihn nicht gesehen haben, obwohl er über freies Feld gelaufen ist, obwohl er auf sie schießt. Keiner der Lanzenreiter blickt in seine Richtung. Doch als hätte sein Gedanke sie gewarnt, schwenkt das Peloton an der Spitze plötzlich nach links. Er sieht, wie ein Reiter mit dem kurzen Degen einen Kreis in der Luft beschreibt, als wollte er ihn rufen, ihn begrüßen, und daß er und seine zwölf Reiter auf ihn zu galoppieren. Das Gewehr ist leergeschossen. Er nimmt denRevolver in beide Hände, die Ellenbogen auf die Erde gestemmt, entschlossen, diese Kugeln aufzuheben, bis die Pferde über ihm sind. Da sind sie: die wutverzerrten Gesichter des Teufels, die wild in die Flanken der Tiere hämmernden Sporen, die langen, zitternden Spieße, die vom Wind geblähten Pluderhosen. Er schießt eine, zwei, drei Kugeln auf den mit dem Säbel, ohne ihn zu treffen, nichts, denkt er, wird ihn davor retten, von diesen Lanzen aufgespießt, von diesen trommelnden Hufen zertreten zu werden. Da geschieht etwas, und wieder hat er sekundenschnell die Vorstellung von Übernatürlichem. Von hinten tauchen Gestalten auf, schießend, Macheten, Jagdmesser, Hämmer, Äxte schwingend, die in atemberaubendem Wirbel auf die Tiere und ihre Reiter herabprasseln, treffen, durchbohren, durchschneiden. Er sieht Jagunços, an Lanzen und Beine der Reiter geklammert, Zügel abschneiden; er sieht Pferde stürzen und hört Brüllen, Wiehern, Flüche, Schüsse. Ehe er aufstehen und sich in den Kampf werfen kann, sprengen mindestens zwei Lanzenreiter über ihn, ohne daß er getreten wird. Er feuert seine zwei letzten Schüsse ab, dann rennt er, die Mannlicher als Knüppel in der Hand, auf die ihm nächste, auf dem Boden ineinander verknäuelte Gruppe Gottloser und Jagunços zu. Er schmettert den Gewehrkolben auf einen Soldaten, der über einem Jagunço liegt, und drischt so lange auf ihn ein, bis er bewegungslos liebenbleibt. Er hilft dem Jagunço auf, dann laufen beide Honório zu Hilfe, den ein Reiter mit ausgestreckter Lanze verfolgt. Als der Gaucho sie kommen sieht, spornt er sein Tier und verschwindet in Richtung Belo Monte. Eine gute Weile läuft Antônio im Staub von einer Stelle zur anderen, hilft den Gestürzten auf die Beine und lädt und leert seinen Revolver. Einige der Gefährten sind schwer verwundet, andere tot, von Lanzen durchbohrt. Einer blutet in Strömen aus einer vom Säbel geschlagenen Wunde. Wie im Traum sieht er sich mit Kolbenhieben die vom Pferd gestürzten Gauchos erledigen. Als in Ermangelung von Feinden das Handgemenge endet und die Jagunços sich sammeln, sagt Antônio, er müsse zurück in die Schützenlöcher, aber noch im Sprechen sieht er, daß dort, wo sie vorhin im Hinterhalt lagen, nun, unter riesigen Wolken rötlichen Staubs, Kompanien der Freimaurer anrücken, so weit das Auge reicht.Nur fünfzig Männer sind bei ihm. Und die anderen? Wer sich noch auf den Beinen halten konnte, ist nach Belo Monte zurückgegangen. »Viele waren es nicht«, knurrt ein zahnloser Jagunço, der Klempner Zósimo. Antônio wundert sich, ihn unter den Kämpfern zu finden, während er doch seiner Hinfälligkeit und seinen Jahren nach Brände löschen und Verwundete in die Gesundheitshäuser bringen müßte. Es hat keinen Sinn, hier weiterzumachen: Ein neues Peloton Reiter, und sie wären erledigt.
    »Gehen wir João Grande helfen«, sagt er zu den Jagunços. In Gruppen zu drei und vier, die hinkenden Kameraden stützend, Deckung suchend in den Vertiefungen des Geländes, treten sie den Rückzug nach Canudos an. Antônio geht am Schluß, neben Honório und Zósimo. Vielleicht erklären die Staubwolken, vielleicht die Sonnenstrahlen, vielleicht der Drang, möglichst rasch Canudos zu stürmen, daß weder die links von ihnen vorrückenden Truppen noch die Lanzenreiter, die sie auf der rechten Seite sehen, kommen und sie niedermachen. Denn sie sehen sie, unmöglich, daß die Soldaten sie nicht genauso sehen, wie sie gesehen werden. Er fragt Honório nach den Sardelinhas, und sein Bruder antwortet, er habe, als er die Schützenlöcher verließ, den Frauen sagen lassen, sie sollten fortgehen. Sie haben noch tausend Schritt bis zu den ersten Häusern. So langsam, wie sie gehen, wird es schwer

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