Der Krieg am Ende der Welt
erstatten, sehen ihn verblüfft an. Der General deutet auf ein paar verstreut im Zimmer herumliegende, halbfertige Raketen aus Zuckerrohr und Zapfen, die mit Schnur festgebunden sind: »Des Mannes, der ihnen die Feuerwerke macht.«
Von den acht Häuserblocks – wenn man diese unenträtselbaren Schutthaufen noch Häuserblocks nennen kann –, die die Truppe in fast zwölf Stunden Kampf erobert hat, ist die Hütte mit dem einzigen, nur durch eine Lattenwand geteilten Raum eine der wenigen, die noch einigermaßen bewohnbar sind. Die Ordonnanzen und Offiziere, die um ihn stehen, begreifen nicht, daß der Chef des Expeditionskorps ihnen von Feuerwerksraketen sprechen kann, während sie aus dem harten Tag Bilanz ziehen. Sie wissen nicht, daß Feuerwerke eine heimliche Schwäche von General Oscar sind, ein unbewältigtes Laster aus Kinderzeiten, und daß er im Kasernenhof von Piauí jedes patriotische Fest genutzt hat, um Feuerwerke anzuordnen. Inden anderthalb Monaten, die er nun schon da ist, hat er nachts, wenn Prozessionen veranstaltet wurden, von der Favela aus neidvoll die Feuerkaskaden am Himmel von Canudos beobachtet. Der Mann, der diese Feuerwerke vorbereitet, ist ein Meister, in jeder beliebigen Stadt Brasiliens könnte er sich damit seinen Lebensunterhalt verdienen. Ob er heute im Kampf gestorben ist? fragt er sich, während er gleichzeitig auf die Zahlen hört, die Oberste, Majore, Hauptleute ihm angeben. Der winzige Raum liegt schon im Dunkeln. Eine Öllampe wird angezündet. Draußen stapeln Soldaten Sandsäcke vor der Hauswand, die auf den Feind geht.
Der General hat die Rechnung beendet.
»Das ist schlimmer, als ich vermutet habe, Senhores«, sagt er zu dem Fächer von Gestalten. Er fühlt einen Druck auf der Brust, er kann die angespannte Erwartung seiner Offiziere spüren. »Tausendundsiebenundzwanzig Mann! Der dritte Teil unserer Streikräfte. Dreiundzwanzig Offiziere gefallen, darunter die Obersten Telles und Serra Martins. Ist Ihnen das klar?«
Keiner antwortet, aber der General weiß, daß sich alle absolut im klaren sind: derart hohe Verluste kommen einer Niederlage gleich. Er sieht seinen Untergebenen die Enttäuschung, den Zorn, die Betroffenheit an; einigen glänzen die Augen. »Den Sturm fortzusetzen hätte die Vernichtung bedeutet. Verstehen Sie es jetzt?«
Denn als General Oscar, bestürzt über den Widerstand der Jagunços und in der Annahme, daß die Verluste der Patrioten hoch sein würden – und unter dem Schock, den der Tod von Telles und Serra Martins für ihn bedeutete –, befahl, die Truppen sollten sich auf die Verteidigung der eroberten Positionen beschränken, waren viele der anwesenden Offiziere empört, und er fürchtete sogar, daß einige seinem Befehl nicht gehorchen könnten. Selbst sein Adjutant, Leutnant Pinto Souza vom Dritten Infanterieregiment, protestierte: »Wo wir den Sieg schon fast in der Hand haben, Exzellenz!« Sie hatten ihn nicht in der Hand. Ein Drittel der Truppen außer Gefecht! Das war trotz der acht besetzten Häuserblocks und der verherrenden Schläge, die sie den Fanatikern beigebracht hatten, ein hoher, katastrophaler Prozentsatz.Er vergißt den Feuerwerker und arbeitet mit seinem Generalstab. Er verabschiedet die Führer, Adjutanten oder Delegierten der Sturmeinheiten und wiederholt den Befehl, die gewonnenen Positionen zu halten, ohne einen Schritt zurückzuweichen, und die Barrikade zu verstärken, die sie vor ein paar Stunden der feindlichen gegenüber, die sie aufgehalten hat, zu bauen begonnen haben, als ersichtlich wurde, daß die Stadt nicht fallen würde. Er beschließt, daß die zum Schutz der Verwundeten auf der Favela zurückgebliebene Siebte Brigade zur Verstärkung der »schwarzen Linie«, der neuen, schon bis ins Herz der aufständischen Stadt vorgeschobenen Operationsfront, kommen soll. Im Lichtkegel der Öllampe beugt er sich über die Landkarte, die Hauptmann Teotônio Coriolano, Kartograph des Generalstabs, nach Berichten und eigenen Beobachtungen gezeichnet hat. Ein Fünftel von Canudos ist gefallen, ein Dreieck, das bei den noch immer von den Jagunços gehaltenen Schützengräben bei Fazenda Velha beginnt und bis zum Friedhof reicht, den die Patrioten besetzt haben, so daß sie hier nur noch achtzig Schritt von der Kirche Santo Antônio entfernt sind.
»Die Front ist lediglich hundertfünfzig Meter breit«, sagt Hauptmann Guimaráes, ohne seine Enttäuschung zu verbergen. »Wir haben sie noch längst nicht eingekreist. Nicht
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