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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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konnte.
    »Wenn Sie wollen, schließen wir einen Pakt«, sagte der Löwe von Natuba, ohne aus der Ruhe zu kommen. »Wir haben auch mit Mutter Maria Quadrado einen Pakt geschlossen. Aber sie wird keine Zeit mehr haben zurückzukommen. Wollen Sie, daß wir einen Pakt schließen?«
    Der kurzsichtige Journalist zitterte so, daß er den Mund nicht aufbrachte. Unter dem Knallen der Schüsse hörte er die Glocken und den eintönigen Chor der Ave-Marias wie eine zurückgedrängte, flüchtige Musik.
    »Um nicht unter der Klinge zu sterben«, erklärte ihm der Löwe von Natuba. »Die Klinge, die an der Kehle angesetzt wird, die den Menschen abschlachtet wie ein Tier, das verbluten soll, ist ein großes Vergehen gegen die Würde. Es verletzt die Seele. Wollen Sie, daß wir einen Pakt schließen?«
    Er wartete eine Weile, und da keine Antwort kam, gab er nähere Erläuterungen.
    »Wenn wir sie an der Tür des Sanktuariums hören und sicher sind, daß sie hereinkommen, töten wir uns. Jeder hält dem anderen Mund und Nase zu, bis ihm die Lungen platzen. Oderwir erwürgen uns mit den Händen oder mit den Sandalenriemen. Schließen wir einen Pakt?«
    Die Stimme des Löwen von Natuba ging im Krachen der Gewehre unter. Dem kurzsichtigen Journalisten wirbelte der Kopf, alle Gedanken, widersprüchliche, bedrohliche, düstere Gedanken, die in ihm aufzuckten, vermehrten seine Angst. Sie saßen schweigend, horchten auf die Schüsse, das Rennen, das große Chaos. Das Licht nahm rasch ab, und der kurzsichtige Journalist konnte die Züge des Schreibers nicht mehr sehen, gerade noch seine geduckte Gestalt erkennen. Er würde diesen Pakt nicht schließen, er wäre unfähig, ihn zu erfüllen; sobald sie die Soldaten hören würden, würde er schreien, ich bin ein Gefangener der Jagunços, Hilfe, Hilfe, er würde sich auf den Vierbeinigen stürzen, ihn überwältigen und ihn den Soldaten anbieten als Beweis dafür, daß er kein Jagunço war.
    »Ich verstehe nicht, ich verstehe nicht, was für Menschen ihr seid«, hörte er sich sagen, während er sich an den Kopf faßte.
    »Was tut ihr hier, warum seid ihr nicht geflohen, bevor sie euch eingekreist haben, was für ein Wahnsinn, in einem Mauseloch darauf zu warten, daß sie euch abschlachten.«
    »Wohin sollten wir fliehen«, sagte der Löwe von Natuba.
    »Geflohen sind wir schon vorher. Deshalb sind wir hierher gekommen. Das hier war der sichere Ort. Jetzt gibt es keinen mehr, jetzt sind sie auch nach Belo Monte gekommen.«
    Die Schießerei übertönte seine Stimme. Es war fast dunkel, und der kurzsichtige Journalist dachte, daß es für ihn früher Nacht sein würde als für die anderen. Besser sterben, als noch eine Nacht wie die vergangene durchzumachen. Er spürte ein gewaltiges, schmerzhaftes, biologisches Bedürfnis, bei seinen zwei Gefährten zu sein. Gegen jede Vernunft beschloß er, sie zu suchen, und während er dem Ausgang zu stolperte, schrie er:
    »Ich gehe meine Freunde suchen, ich will mit meinen Freunden sterben.«
    Als er die kleine Tür aufstieß, wehte ihm frische Luft entgegen, und er ahnte die im Pulverdampf verschwimmenden Gestalten der Männer, die hinter dem Schutzwall das Sanktuarium verteidigten.
    »Kann ich hinaus? Kann ich hinaus?« bat er. »Ich will meine Freunde finden.«»Du kannst«, sagte einer. »Eben wird nicht geschossen.«
    Er ging ein paar Schritte, auf die Barrikade gestützt, und fast unmittelbar danach stieß er auf etwas Weiches. Als er sich aufrichtete, fand er sich in den Armen einer weiblichen Gestalt, die ihn an sich drückte. Am Geruch, an dem Glücksgefühl, das ihn durchströmte, wußte er, wer es war, noch ehe er sie hörte. Sein Schrecken schlug in Jubel um, während er die Frau umarmte, die ihn mit der gleichen Verzweiflung umschlungen hielt. Ein Paar Lippen legten sich auf die seinen, zogen sich nicht zurück, antworteten auf seine Küsse. »Ich liebe dich«, stammelte er, »ich liebe dich, ich liebe dich. Es ist mir gleichgültig, ob ich sterbe.« Und er fragte sie nach dem Zwerg, während er ihr wiederholte, daß er sie liebe.
    »Den ganzen Tag haben wir dich gesucht«, sagte der Zwerg, der seine Beine umschlungen hielt. »Du lebst, was für ein Glück.«
    »Auch mir ist es gleichgültig, ob ich sterbe«, sagten unter den seinen die Lippen Juremas.
    »Das ist das Haus des Feuerwerkers!« ruft General Artur Oscar plötzlich aus. Die Offiziere, die ihm über die Toten und Verwundeten des auf seinen Befehl abgebrochenen Angriffs Bericht

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