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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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das in pfeifendem Niesen endete. Der Baron, von ihm abgelenkt, haßte seinerseits diesen fanatischen Banditen. Was war aus dem Urheber des unsühnbaren Verbrechens geworden? Der Gedanke, nach ihm zu fragen und womöglich zu hören, er sei mit dem Leben davongekommen, erfüllte ihn mit Schrecken. Der Journalist wiederholte das Wort Wasser. Es kostete den Baron Mühe, aus sich aufzutauchen und zu verstehen. Ja, die Wasserstelle am Vaza Barris. Er kannte diese parallel zum Fluß verlaufenden Brunnen, in denen sich bei Überschwemmungen das Wasser sammelte und in den langen Monaten (und manchmal Jahren), in denen der Vaza Barris trocken blieb, Menschen, Vögeln, Schafen und Kühen zu trinken gab. Und Pajeú? Und Pajeú? War er im Kampf gefallen? War er eingefangen worden? Die Frage lag ihm auf der Zunge, und er stellte sie nicht.
    »Diese Dinge muß man verstehen«, sagte der kurzsichtige Journalist jetzt überzeugt, energisch, zornig. »Ich konnte sie natürlich kaum sehen. Aber verstehen konnte ich sie auch nicht.«
    »Von wem sprechen Sie«, sagte der Baron. »Ich war zerstreut, ich habe den Faden verloren.«
    »Von den Frauen und den ›Kleinen<«, gab der kurzsichtige Journalist zurück. »So nannten sie sie. Die ›Kleinen‹. Als die Soldaten die Wasserstelle besetzten, gingen sie nachts mit denFrauen hin und versuchten, ein paar Büchsen voll Wasser zu stehlen, damit die Jagunços weiterkämpfen konnten. Sie, nur sie. Und genauso war es mit diesen stinkenden Abfällen, die sie Essen nannten. Haben Sie gehört?«
    »Soll ich erschrecken?« fragte der Baron. »Staunen?«
    »Sie sollen versuchen zu verstehen«, murmelte der kurzsichtige Journalist. »Wer hat das angeordnet? Der Ratgeber? Antônio Vilanova? Wer hat beschlossen, daß nur Frauen und Kinder zur Fazenda Velha kriechen sollten, um Wasser zu stehlen, wohl wissend, daß die Soldaten an den Brunnen nur darauf warteten, sie als Schießscheiben zu benutzen, wohl wissend, daß von jeweils zehn nur einer oder zwei zurückkamen? Wer hat beschlossen, daß die kampffähigen Männer nicht diesen geringeren Selbstmord riskieren durften, weil ihnen die höhere Form des Selbstmords, im Kampf zu sterben, vorbehalten war?« Der Baron sah ihn wieder angstvoll seine Augen suchen. »Ich nehme an, daß es weder der Ratgeber war noch die Chefs. Es waren spontane, anonyme, gleichzeitig und einhellig gefaßte Entschlüsse. Sonst hätten sie sich nicht daran gehalten, sonst wären sie nicht so überzeugt in diesen Schlachthof gelaufen.«
    »Sie waren Fanatiker«, sagte der Baron, sich der Verachtung in seiner Stimme bewußt. »Fanatismus treibt die Leute, so zu handeln. Heroismus geht nicht immer aus hohen und erhabenen Idealen hervor, er kann auch auf Vorurteilen beruhen, auf geistiger Beschränktheit, auf den dümmsten Vorstellungen.«
    »Für die Soldaten war das natürlich der große Sport, ein Zeitvertreib in ihrem langweiligen Leben«, sagte er. »Sich in Fazenda Velha auf die Lauer zu legen und zu warten, bis der Mond aufging und ihnen die Schatten zeigte, die angekrochen kamen, um Wasser zu schöpfen. Wir hörten die Schüsse, den Knall, wenn eine Kugel die Büchse, das Gefäß, den Topf durchschlug. Am Morgen waren die Wasserstellen voller Leichen und Verwundeter. Aber, aber ...«
    »Aber Sie haben von diesen Dingen nichts gesehen«, fiel ihm der Baron ins Wort. Die Erregung, die er seinem Gesprächspartner anmerkte, reizte ihn.
    »Jurema und der Zwerg haben sie gesehen«, sagte der kurzsichtige Journalist. »Ich habe sie gehört. Ich habe die Frauen und die Kleinen gehört, die mit ihren Büchsen, Feldflaschen undKrügen nach Fazenda Velha zogen, Abschied nahmen von ihren Männern oder Eltern, sich gegenseitig segneten und sich für den Himmel verabredeten. Und ich hörte, was geschah, wenn es ihnen gelang, zurückzukommen. Die Büchse, der Eimer, der Krug Wasser war nicht dazu da, den sterbenden Alten, den vor Durst wahnsinnigen Kindern zu trinken zu geben. Nein, sie gingen in die Schützengräben, damit die, die noch ein Gewehr in der Hand halten konnten, ein paar Stunden oder Minuten länger aushielten.«
    »Und Sie?« fragte der Baron. Von Mal zu Mal wuchs seine Abneigung gegen diese Mischung aus Ehrfurcht und Schrecken, mit der der kurzsichtige Journalist von den Jagunços sprach. »Wieso sind Sie nicht verdurstet? Sie waren doch kein kampffähiger Mann, oder?«
    »Das frage ich mich auch«, sagte der Journalist. »Wenn es in dieser Geschichte eine Logik gäbe,

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