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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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müßte ich dort mehrere Male gestorben sein.«
    »Die Liebe löscht den Durst nicht«, versuchte ihn der Baron zu verletzen.
    »Sie löscht ihn nicht«, pflichtete der andere bei. »Aber sie gibt einem Kraft, durchzuhalten. Und ein wenig hatten auch wir zu trinken. Was sich lutschen oder aussaugen ließ. Das Blut von Vögeln, selbst von Geiern. Wir kauten Blätter, Zweige, Wurzeln, alles, was Saft enthielt. Und Urin, natürlich.« Er suchte die Augen des Barons, und dieser dachte wieder: Als ob er mich anklagte. »Wußten Sie das nicht? Auch wer keine Flüssigkeit zu sich nimmt, uriniert. Das war dort eine wichtige Entdeckung.«
    »Sprechen Sie bitte von Pajeú«, sagte der Baron. »Was ist aus ihm geworden?«
    Unerwarteterweise ließ sich der kurzsichtige Journalist zu Boden gleiten. Er hatte das im Verlauf des Gesprächs schon mehrmals getan, und der Baron fragte sich, ob diese Stellungswechsel auf seine innere Unruhe zurückzuführen waren oder darauf, daß ihm die Muskeln einschliefen.
    »Sagten Sie nicht, er sei in Jurema verliebt gewesen«, beharrte er. Er hatte plötzlich das absurde Gefühl, seine ehemalige Angestellte in Calumbí sei die einzige Frau im Sertão, ein weibliches Verhängnis, unter deren unbewußte Herrschaft früher oder später alle Männer fielen, die mit Canudos inVerbindung standen. »Warum hat er sie sich nicht genommen?«
    »Vielleicht weil Krieg war«, sagte der kurzsichtige Journalist.
    »Er war einer der Anführer. Je enger sich der Kreis schloß, desto weniger Zeit hatte er. Und desto weniger Schwung, nehme ich an.«
    Er brach in ein derart ruckhaftes Lachen aus, daß der Baron schloß, es werde diesmal nicht in Niesen, sondern in Weinen umschlagen. Weder das eine noch das andere geschah.
    »So daß ich manchmal wünschte, der Krieg möge weitergehen, möge noch schlimmer werden, damit Pajeú beschäftigt war.« Er schnappte nach Luft. »So daß ich wünschte, der Krieg oder sonstwas solle ihn töten.«
    »Was ist aus ihm geworden?« beharrte der Baron. Der Journalist überhörte ihn.
    »Aber er hätte sie sich nehmen und zu seiner Frau machen können, obwohl Krieg war«, überlegte, phantasierte er, auf den Boden starrend. »Haben andere Jagunços das nicht auch getan? Habe ich sie nicht inmitten der Schüsse ihre Frauen besteigen hören, nachts oder bei Tag, in den Hängematten, auf dem Bett, auf dem Boden?«
    Der Baron fühlte sein Gesicht brennen. Bestimmte Themen hatte er nie geduldet, nicht einmal bei seinen engsten Freunden. Wenn er so weitermachte, würde er ihn zum Schweigen bringen.
    »Also war nicht der Krieg der Grund«, sagte der Journalist und sah den Baron an, als müsse er sich erinnern, daß er da war. »Er war eben ein Heiliger geworden, sehen Sie? So sagten sie ja: Er ist ein Heiliger geworden, der Engel hat ihn geküßt, der Engel hat ihn gestreift, der Engel hat ihn angerührt«, sagte der Journalist und nickte mehrmals. »Vielleicht. Er wollte sie sich nicht mit Gewalt nehmen. Das wäre die andere Erklärung. Die phantastischere, aber wer weiß. Damit alles geschah, wie Gott es befahl. Nach der Religion. Sie heiraten. Ich habe gehört, wie er sie darum gebeten hat. Vielleicht.«
    »Was ist aus ihm geworden?« fragte der Baron langsam, jedes Wort betonend.
    Der kurzsichtige Journalist sah ihn starr an. Und der Baron bemerkte seine Geistesabwesenheit.»Er hat Calumbí abgebrannt«, erklärte er langsam. »Er war es, der ... Ist er gestorben? Wie ist er gestorben?«
    »Ich nehme an, daß er gestorben ist«, sagte der kurzsichtige Journalist. »Wie hätte er nicht sterben sollen? Wie hätten er, João Abade, João Grande, sie alle, nicht sterben sollen?«
    »Sie selbst sind nicht gestorben und, wie Sie mir sagten, auch Vilanova nicht. Kam er heraus?«
    »Sie wollten nicht hinaus«, sagte der Journalist bedrückt. »Sie wollten hinein, bleiben, dort sterben. Das mit Vilanova war eine Ausnahme. Auch er wollte nicht fort. Es wurde ihm befohlen.«
    So daß er also nicht sicher sein konnte, daß Pajeú tot war. Der Baron stellte sich vor, wie er sein früheres Leben wieder aufnahm, abermals frei war und an der Spitze einer Räuberbande aus da und dort aufgelesenen Verbrechern in Ceará, in Pernambuco, in noch weiter entfernten Gegenden seinem Lebenslauf Untaten ohne Ende anfügte. Es schwindelte ihn.
    »Antônio Vilanova«, flüstert der Ratgeber, und im Sanktuarium ist es, als entlüde sich eine elektrische Spannung. Er hat gesprochen, er hat gesprochen, denkt der

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