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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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»Ob bei Ihnen nicht doch eine Schraube mehr locker ist, als es schon immer den Anschein hatte? Ob das nicht alles ein Gespinst von Schwindelgeschichten ist?«
    »Sie sahen sie anrücken, sich ausbreiten über die Hügel, eine um die andere die Stellen besetzen, durch die sie bis dahin die Stadt verlassen und betreten konnten. Die Kanonen schossen nun vierundzwanzig Stunden lang, aus Norden, aus Süden, aus Westen, aus Osten. Aber weil sich die Truppen zu nahe standen und sie sich gegenseitig töten konnten, beschossen sie nur die Türme. Denn die waren noch immer nicht gefallen.«
    »Jurema, Jurema?« rief der Baron aus. »Das kleine Mädchen aus Calumbí hat Sie glücklich gemacht, hat sie innerlich in einen Jagunço verwandelt?«
    Wie in einem Aquarium schwammen die Augen des Kurzsichtigen hinter den dicken Brillengläsern hin und her, blinzelten. Es war spät, sie saßen seit vielen Stunden hier, er müßte aufstehen und nach Estela fragen; seit Beginn der Tragödie hatte er sich noch nie so lange von ihr getrennt. Aber in kribbelnder Ungeduld wartete er weiter.
    »Der Grund ist wohl, daß ich mich damit abgefunden hatte«, hörte er ihn leise, fast unhörbar, sagen.
    »Zu sterben?« sagte der Baron und wußte, daß es nicht der Tod war, an den sein Besucher dachte.
    »Nicht zu lieben und von keiner Frau je geliebt zu werden.«Der Baron konnte nur erraten, was er sagte, da seine Stimme noch leiser geworden war. »Häßlich zu sein, schüchtern, nie eine Frau im Arm zu haben, die nicht dafür kassiert.«
    Der Baron saß wie elektrisiert in seinem Ledersessel. Blitzartig kam ihm der Gedanke, daß in diesem Raum, in dem so viele Geheimnisse gelüftet, so viele Verschwörungen ausgeheckt worden waren, niemand je etwas für seine Ohren so Unerwartetes und Überraschendes gesagt hatte.
    »Sie können das nicht begreifen«, sagte der kurzsichtige Journalist, als klage er den Baron an. »Sie haben Liebe sicher schon mit jungen Jahren erfahren. Viele Frauen müssen Sie geliebt, bewundert, sich Ihnen hingegeben haben. Sicher konnten sie sich Ihre schöne Gattin unter vielen anderen schönen Frauen aussuchen, die nur auf Ihre Zustimmung warteten, um sich in Ihre Arme zu werfen. Sie können nicht verstehen, was in uns vorgeht, die wir nicht attraktiv, ansehnlich, vom Glück begünstigt, reich sind, wie Sie es waren. Sie können nicht verstehen, was es heißt zu wissen, daß man auf Frauen abstoßend und lächerlich wirkt, was es heißt, von der Liebe und der Lust ausgeschlossen zu sein. Auf Huren angewiesen.«
    Liebe, Lust, dachte der Baron verstört: zwei beunruhigende Wörter, zwei kleine Meteore in der Nacht seines Lebens. Er empfand es als ein Sakrileg, daß diese zwei schönen, vergessenen Wörter aus dem Mund dieses lächerlichen Kerls kamen, der mit verflochtenen Beinen wie ein Reiher auf seinem Sessel hockte. War es nicht komisch, grotesk, daß so eine Feld-, Wald- und Wiesenmischung aus dem Sertão einen trotz allem gebildeten Marin veranlassen konnte, von Lust und Liebe zu sprechen? Verlangten diese zwei Wörter nicht nach Luxus, Raffinement, Sensibilität, Eleganz, nach den Riten und der Kennerschaft einer an Büchern trainierten Phantasie, nach Reisen und Bildung? Er dachte an die Baronin, und in seiner Brust brach eine Wunde auf. Er gab sich Mühe, wieder auf das zu hören, was der Journalist sagte. Der hatte einmal mehr einen Sprung gemacht und sprach vom Krieg.
    »Das Wasser ging aus«, sagte er und schien ihn immer noch zu schelten. »Alles Trinkwasser für Canudos kam aus den Wasserstellen bei Fazenda Velha, ein paar Brunnen am Vaza Barris. Sie hatten dort Schützengräben ausgehoben und verteidigten siemit Krallen und Zähnen. Aber angesichts dieser fünftausend frischen Soldaten konnte auch Pajeú nicht verhindern, daß die Stellungen fielen. Also gab es kein Wasser mehr.«
    »Pajeú?« Den Baron schauderte. Da war es wieder, das fahlgelbe Gesicht mit dem indianischen Einschlag, die Narbe anstelle der Nase, die Stimme, die ihm in aller Ruhe ankündigte, er werde im Namen des Vaters Calumbí abbrennen. Pajeú, die Verkörperung all der Gemeinheit und Dummheit, der Estela zum Opfer gefallen war.
    »Ja, Pajeú«, sagte der Kurzsichtige. »Ich haßte ihn. Und fürchtete ihn mehr als die Kugeln der Soldaten. Denn er hatte sich in Jurema verliebt, und er hätte nur einen Finger zu heben brauchen, um sie mir wegzunehmen und mich verschwinden zu lassen.«
    Er lachte wieder, ein kurzes, grelles, nervöses Lachen,

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