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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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schleudern sie in die Häuser, während die anderen aus nächster Nähe auf die Häuser schießen. Keine zehn Schritte ist er von ihnen entfernt an der Stelle, an der er sich, gelähmt von ihrem Anblick, hingehockt hat und wie betäubt, halbblind, zu ihnen hinstarrt. Da bricht die Schießerei los. Er drückt sich an den Boden, aber ohne die Augen zu schließen, die fasziniert zusehen, wie die Soldaten, von Kugeln getroffen, zusammenbrechen, sich winden, brüllen, ihre Gewehre loslassen. Von wo kommen die Schüsse? Einer der Gottlosen kollert, sich das Gesicht haltend, bis zu ihm. Er sieht, wie er liegenbleibt, still, mit heraushängender Zunge.
    Von wo sind sie beschossen worden? Wo sind die Jagunços? Er bleibt auf seiner Hut, blickt aufmerksam von einem Gefallenen zum andern, darauf gefaßt, daß eine der Leichen aufstehen und ihn abknallen wird.
    Aber was er sieht, ist etwas Erdhaftes, Kriechendes, Schnelles, wie ein Wurm aus einem Haus Aufgetauchtes, und als er denkt, »ein Kleiner«, ist es nicht mehr nur einer, sind es schon drei, und auch sie kommen kriechend. Alle drei ziehen und zerren sie an den Toten. Sie ziehen sie nicht aus, wie der Löwe von Natuba anfangs glaubt: sie reißen ihnen Patronentaschen und Feldflaschen weg. Und einen der »Kleinen« sieht er sich aufrichten und dem ihm nächsten Soldaten, den er für eine Leiche gehalten hat und der allem Anschein nach im Sterben liegt, ein Jagdmesser, so lang wie sein Arm, in die Brust stoßen.
    »Löwe, Löwe.« Ein anderer »Kleiner« winkt ihm, ihm zu folgen. Der Löwe sieht ihn in der halboffenen Tür eines Hauses verschwinden, während die anderen, ihre Beute hinter sich herziehend, in verschiedene Richtungen auseinanderlaufen,und erst jetzt gehorcht ihm sein durch die panische Angst erstarrter Körper, und er kann sich zur Tür schleppen. An der Schwelle nehmen ihn zwei energische Hände in Empfang. »Gebt ihm die Feldflasche.« Einer drückt sie ihm in die blutenden Hände und er setzt sie an den Mund. Die Augen schließend, nimmt er seinen langen Schluck, dankbar, gerührt über die wunderbare Empfindung: Flüssigkeit, die seine glühende Kehle befeuchtet.
    Während er den sechs oder sieben bewaffneten Männern antwortet, die in dem im Haus angelegten Erdloch stehen – geschwärzte, verschwitzte Gesichter, manche verbunden und unkenntlich –, und ihnen erzählt, was er auf dem Kirchplatz und dem Weg bis hierher hat sehen können, wird ihm klar, daß die Grube ein unterirdischer Gang ist. Zwischen seinen Beinen taucht ein »Kleiner« auf und sagt: »Noch mehr Hunde mit Feuer, Salustiano.« Die Angesprochenen kommen in Bewegung, schieben ihn beiseite, und in diesem Augenblick merkt er, daß auch zwei Frauen dabei sind. Auch sie haben Gewehre, auch sie zielen, ein Auge zugekniffen, zwischen den Latten durch auf die Straße. Durch die Ritzen sieht der Löwe, wie auf einem wiederkehrenden Bild, Soldaten, die brennende Fackeln in die Häuser werfen. »Feuer!« schreit ein Jagunço, und das Zimmer füllt sich mit Pulverdampf. Der Löwe hört es knallen, einmal, mehrmals, in nächster Nähe. Als der Rauch ein wenig verzieht, springen zwei »Kleine« aus der Grube und kriechen auf der Suche nach Munition und Feldflaschen auf die Straße. »Wir lassen sie ganz nahe heran, erst dann schießen wir sie ab, damit sie uns nicht entkommen«, sagt einer der Jagunços, während er sein Gewehr säubert.
    »Sie haben dein Haus in Brand gesteckt, Salustiano«, sagt eine Frau.
    »Und das von João Abade auch«, fügt dieser hinzu.
    Es sind die Häuser gegenüber; sie sind zur gleichen Zeit in Flammen aufgegangen, und mit dem Knistern des Feuers wird Bewegung, werden Rufe und Schreie laut, die mit den dichten, erstickenden Rauchschwaden auf sie zukommen.
    »Sie wollen uns rösten, Löwe«, sagt ein anderer Jagunço im Erdloch in aller Ruhe. »Sämtliche Freimaurer kommen mit Fackeln.«Der Rauch ist so dicht, daß der Löwe anfängt zu husten, und dabei fällt ihm ein Ausspruch des Ratgebers ein, den er aufgeschrieben hat und der nun in den Heften im Sanktuarium vermutlich ebenfalls verkohlen wird: »Vier Brände werden kommen. Die drei ersten werde ich löschen; den vierten lege ich in die Hände des guten Jesus.« Er sagt es laut: »Ist dies der vierte, der letzte Brand?« Jemand fragt zaghaft: »Und der Ratgeber, Löwe?« Er war darauf gefaßt gewesen; seit er das Haus betreten hatte, wußte er, daß einer sich ein Herz nehmen und ihn fragen würde. Zwischen den

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