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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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durch die Freimaurer und Protestanten habe der Teufel Pedro II. gestürzt, um die Sklaverei wiedereinzuführen (eine subtile Art, die Wahrheit zu sagen, nicht wahr? Denn die Ausbeutung des Menschen durch die Herren des Geldes, die Grundlage des republikanischen Systems, ist keine geringere Sklaverei als die feudale). Der Emissär war kategorisch: ›Die Armen haben viel gelitten, doch das hat nun ein Ende: wir werden die Fragen der Volkszählung nicht beantworten, denn sie wollen nur wissen, wer die Freigelassenen sind, um sie wieder in Ketten zu schlagen und ihren Herren zurückzugeben. In Canudos zahlt niemand die Steuern der Republik, weil wir die Republik nicht anerkennen und nicht zulassen, daß sie sich Funktionen anmaßt, die allein Gott zustehen.‹ ›Welche Funktionen, zum Beispiel?‹ ›Brautpaare zu trauen oder den Zehnten zu erheben.‹ Ich fragte ihn, wie man es in Canudos mit dem Geld hielte, und er bestätigte mir, daß sie nur Münzen mit dem Bild der Prinzessin Isabel akzeptierten, das heißt Münzen des Kaiserreichs, doch da diese Münzen kaum noch im Umlauf seien, verschwinde das Geld mehr und mehr. ›Wir brauchen es nicht, denn in Canudos geben die, die haben, denen, die nichts haben, und die, die arbeiten können, arbeiten für die, die es nicht können.‹
    Ich sagte ihm, das Privateigentum und das Geld abzuschaffenund Gütergemeinschaft einzurichten, im Namen welcher Grundsätze immer, und seien es nebelhafte Abstraktionen, sei etwas Kühnes und für die Enterbten dieser Welt Wichtiges, der Beginn einer Erlösung für alle. Und dieses Vorgehen würde früher oder später eine harte Repression zur Folge haben, denn die herrschende Klasse werde nicht zulassen, daß dieses Beispiel Schule mache: in diesem Land gebe es Arme mehr als genug, um sämtliche Fazendas zu besetzen. ›Sind der Ratgeber und die Seinen sich bewußt, welche Kräfte sie gegen sich heraufbeschwören?‹ Der Mann sah mir fest in die Augen und sagte, ohne mit der Wimper zu zucken, die unsinnigsten Sätze her, von denen ich Euch eine Kostprobe geben will: Die Soldaten seien nicht die Stärke, sondern die Schwäche der Regierung; wenn es nottue, würden die Wasser des Vaza Barris zu Milch und seine Ufer zu Maismehl werden, und wenn die Heerscharen des Königs Dom Sebastião kämen (ein portugiesischer König aus dem 16. Jahrhundert, der in Afrika starb), würden die toten Jagunços wiederauferstehen zum Leben.
    Sind diese Teufel und Kaiser und religiösen Fetische Teil einer Strategie, deren sich der Ratgeber bedient, um die Armen in eine Rebellion zu schicken, deren Taten – im Unterschied zu den Worten – richtig liegen, da er sie angestiftet hat, sich gegen die wirtschaftlichen, sozialen und militärischen Grundlagen der Klassengesellschaft aufzulehnen? Können diese seit Jahrhunderten der abergläubischen Tyrannei der Kirche unterworfenen Massen einzig durch diese religiösen, mythischen und dynastischen Symbole aus ihrer Trägheit herausgerissen werden? Benützt sie der Ratgeber deshalb, oder ist alles ein Werk des Zufalls? Wir wissen, Genossen, daß es den Zufall in der Geschichte nicht gibt, daß selbst in der wirrsten Erscheinung, sie mag sich noch so willkürlich darstellen, eine verborgene Rationalität steckt. Ist sich der Ratgeber des historischen Wandels bewußt, den er heraufbeschwört? Handelt er intuitiv oder haben wir es mit einem Schlaukopf zu tun? Keine Hypothese ist auszuschließen, am wenigsten die von einer unüberlegten, spontanen Volksbewegung. Rationalität steckt im Kopf eines jeden Menschen, selbst des ungebildetsten, und kann ihn unter Umständen dazu führen, durch die Wolken des Dogmatismus, die ihm die Sicht verstellen, oder aus denVorurteilen heraus, die sein Vokabular unscharf machen, im Sinn der Geschichte zu handeln. Einer, der nicht zu uns gehört, Montesquieu, hat geschrieben, Glück oder Unglück läge in einer bestimmten Anordnung unserer Organe. Auch die revolutionäre Aktion kann dem Befehl dieser uns leitenden Organe entspringen, noch ehe die Wissenschaft den Geist der Armen gebildet hat. Ist es das, was im Sertão der Provinz Bahia geschieht? Das läßt sich nur in Canudos selbst feststellen. Auf ein nächstes oder auf immer.«

VI
    Der Sieg von Uauá wurde in Canudos mit zwei Feiertagen begangen. Es gab, von Antônio Fogueteiro vorbereitet, Raketen und Feuerwerk, und der Beatinho organisierte Prozessionen, die sich auf den gewundenen Wegen zwischen den neu auf der Fazenda

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