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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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ist zu einem bewaffneten Zusammenstoß gekommen, und die Jagunços haben die hundert Soldaten, die nach Canudos marschieren wollten, in die Flucht geschlagen. Bestätigen sich hier nicht die Anzeichen einer Revolution? In gewisser Weise ja, aber nur relativ, nach diesem Mann zu schließen, der ein höchst widersprüchliches Bild von diesen Brüdern vermittelte: untrügliche Intuition und richtige Aktionen, vermischt mit dem unwahrscheinlichsten Aberglauben.
    Ich schreibe Euch aus einem Dorf, dessen Namen Ihr nicht wissen dürft, aus einer Gegend, in der die moralische und physische Sklaverei der Frauen extrem ist. Alle unterdrücken sie: der Patron, der Vater, die Brüder, der Ehemann. Hier wählt noch der Grundbesitzer die Frauen für seine Bauern aus, und niemand greift ein, wenn Frauen auf offener Straße von jähzornigen Vätern oder betrunkenen Ehemännern verprügelt werden. Ein Thema zum Nachdenken, Genossen: sorgt dafür, daß die Revolution nicht nur die Ausbeutung des Mannes durch den Mann, sondern auch die der Frau durch den Mann aufhebt und daß mit der Gleichheit der Klassen auch die Gleichheit der Geschlechter eingeführt wird.Von einem Führer, der auch Tigerjäger ist (schöne Berufe: die Welt erforschen und die natürlichen Feinde der Herde ausrotten) erfuhr ich, daß dieser Emissär aus Canudos hier war, und ihm verdanke ich es auch, daß ich ihn sehen konnte. Die Begegnung fand in einer Lohgerberei statt, im Freien: Lederstücke lagen zum Trocknen in der Sonne, Kinder spielten mit einer Eidechse. Als ich den Mann sah, schlug mir das Herz höher: klein und untersetzt, mit dieser Haut zwischen Fahlgelb und Fahlgrau, die die Mestizen von ihren indianischen Vorfahren haben, und mit einer Narbe, die mir auf den ersten Blick sagte: dieser Mann ist ein Capanga oder ein Räuber oder ein Verbrecher gewesen, in jedem Fall ein Opfer, denn, wie Bakunin erklärt: Die Gesellschaft bereitet die Verbrechen vor und die Verbrecher sind nur die ausführenden Organe. Er hatte Lederzeug an, wie es die Viehhirten tragen, damit sie durch Dorngestrüpp reiten können, trug ein Gewehr, hatte tiefliegende, abweisende Augen und dieses zurückhaltende, ausweichende Benehmen, das man hier oft antrifft. Er wollte nicht mit mir allein sprechen, wir mußten es vor der Gerberfamilie tun, die auf dem Boden saß und, ohne uns anzusehen, ihr Essen verzehrte. Ich sagte ihm, ich sei ein Revolutionär, und viele Genossen in der Welt bewunderten, was sie in Canudos getan hätten: das Land eines Feudalherrn besetzen, die freie Liebe einführen und eine Militärtruppe in die Flucht schlagen. Ich weiß nicht, ob er mich verstanden hat. Die Leute im Landesinnern sind nicht wie die in Bahia, die der afrikanische Einfluß redselig und überschwenglich macht. Hier sind die Gesichter ausdruckslos, Masken, anscheinend dazu bestimmt, Gefühle und Gedanken zu verheimlichen.
    Ich fragte ihn, ob sie gerüstet seien für neue Angriffe, denn bei Übergriffen auf sein geheiligtes Privateigentum reagiere das Bürgertum wild. Ich war sprachlos, als er murmelte, alles Land gehöre dem guten Jesus, und in Canudos errichte der Ratgeber die größte Kirche der Welt. Ich versuchte ihm zu erklären, daß die Machthaber nicht Soldaten gegen sie ausschickten, weil sie Kirchen bauten, und er antwortete, doch, eben deshalb, denn die Republik wolle die Religion vertilgen. Und nun, Genossen, hörte ich ihn mit ruhiger Sicherheit, ohne einen Anflug von Leidenschaft, die seltsamsten Schmähreden auf die Republikvortragen. Die Republik beabsichtige, die Kirche und ihre Gläubigen zu unterdrücken und alle religiösen Orden zu schließen, wie sie das mit der Gesellschaft Jesu bereits getan habe, und der deutlichste Beweis dafür sei die Einführung der Zivilehe, eine himmelschreiende Ruchlosigkeit, da doch Gott das Sakrament der Ehe eingesetzt habe.
    Ich kann mir denken, daß nach obigem viele Leser enttäuscht sind und vermuten, Canudos sei eine ebenso rückständige, von Pfaffen inspirierte Bewegung wie die der Bauern in der Vendée zur Zeit der Französischen Revolution. So einfach, Genossen, ist die Sache nicht. Aus meinem letzten Brief wißt Ihr, daß die Kirche den Ratgeber und Canudos verurteilt und daß die Jagunços das Land einem Baron weggenommen haben. Ich fragte den mit der Narbe, ob es den Armen unter der Monarchie in Brasilien besser gegangen sei. Ja, antwortete er auf der Stelle, denn die Monarchie habe die Sklaverei abgeschafft. Und er erklärte mir,

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