Der Krieg am Ende der Welt
aufzunehmen.
Diesmal dauerte die Wanderschaft der Vilanova durch das von Hunger und Dürre geplagte Land länger als vor zehn Jahren auf der Flucht vor der Pest. Bald hatten sie keine Tiere mehr. Nach einem ersten Zusammenstoß mit einer Gruppe von Flüchtlingen, die mit Schüssen vertrieben werden mußten, fand Antônio, daß die fünf Lastesel für diese hungrig durch die Sertôes ziehende Menschheit eine zu große Versuchung waren. So daß er in Barro Vermelho vier gegen eine Handvoll Edelsteine verkaufte. Das letzte schlachteten sie, hielten ein Festmahl und salzten das übrige Fleisch ein, von dem sie sich mehrere Tage lang ernähren konnten. Eines von Honórios Kindern starb an der Ruhr, und sie begruben es in Borracha, wo sie einen Unterstand bauten, in welchem die Sardelinhas Suppen aus Wurzeln und Knollenfrüchten ausschenkten. Lange konnten sie es auch da nicht aushalten, und so zogen sie weiter nach Patamuté und Mato Verde, wo Honório von einem Skorpion gestochen wurde. Als er auskuriert war, wandertensie weiter nach Süden, wochenlang, eine beklemmende Reise, auf der sie nur Gespensterdörfer, menschenleere Fazendas und Karawanen von Skeletten antrafen, die ziellos dahintrieben wie Wahnsinnige.
In Pedra Grande starb ein zweites Kind von Honório und Assunção an einem bloßen Schnupfen. Sie wollten es eben, in eine Decke gewickelt, begraben, als in einer siegellackroten Staubwolke etwa zwanzig Männer und Frauen in den Weiler einzogen – unter ihnen ein menschengesichtiges Wesen, das auf allen vieren lief, und ein halbnackter Neger –, die meisten nur noch Haut und Knochen und bekleidet mit gestreiften Kutten und Sandalen, die über alle Wege der Welt gelaufen zu sein schienen. Ein hochgewachsener, dunkelhäutiger Mann mit schulterlangem Haar und funkelnden Augen führte sie an. Er ging direkt auf die Familie Vilanova zu und hielt die Brüder, die eben den Leichnam in die Grube legen wollten, mit einer Handbewegung an. »Dein Kind?« fragte er Honório mit tiefer Stimme. »Man muß es gut vorbereitet auf den Weg schicken, damit es zum ewigen Himmelsfest aufgenommen wird.« Und noch ehe Honório antwortete, wandte er sich an seine Begleiter: »Wir wollen ihm ein ordentliches Begräbnis geben, damit es der Vater mit Freuden empfängt.« Da sahen die Vilanova, wie Leben in die Pilger kam, wie sie zu den Bäumen liefen, Bretter schnitten und zusammennagelten und mit einer Fertigkeit, die auf eine lange Praxis hindeutete, einen Sarg und ein Kreuz herstellten. Der Dunkelhäutige nahm das Kind in seine Arme und legte es in den Sarg. Während die Vilanova das Grab zuschütteten, betete der Mann laut, und die anderen sangen, um das Kreuz kniend, Gebete und Litaneien. Später, als die Pilger nach einer Rast unter den Bäumen aufbrachen, zog Antônio Vilanova ein Geldstück heraus und reichte es dem Heiligen. »Als Zeichen unseres Dankes«, beharrte er, als er sah, daß der Mann es nicht annahm und ihn spöttisch anblickte. »Mir hast du nichts zu danken«, sagte er endlich. »Und dem Vater könntest du mit tausend Geldstücken wie diesem nicht bezahlen, was du ihm schuldest.« Und nach einer Pause fügte er sanft hinzu: »Du hast nicht rechnen gelernt, mein Sohn.«
Noch lange, nachdem die Pilger fortgegangen waren, saßen die Vilanova nachdenklich um ein Feuer, das die Insekten abhielt.»War das ein Verrückter, Compadre?« sagte Honório. »Ich habe auf meinen Reisen viele Verrückte gesehen, dieser scheint mehr zu sein als ein Verrückter«, sagte Antônio.
Als nach zwei Jahren Dürre und Not wieder Wasser kam, hatten sich die Vilanova in Caatinga do Moura niedergelassen, einem Weiler mit einem Salzstock in der Nähe, den Antônio auszubeuten begann. Die übrige Familie – die Sardelinhas und die zwei Kinder – hatte überlebt, aber der Sohn von Antônio und Antônia war nach einer Augenreizung blind geworden und konnte zwar noch Tag und Nacht, aber weder das Gesicht der Leute noch die Beschaffenheit der Dinge unterscheiden. Die Salzmine erwies sich als ein gutes Geschäft. Honório, die Sardelinhas und die Kinder waren tagsüber mit dem Trocknen des Salzes und dem Abfüllen der Tüten beschäftigt, die Antônio dann verkaufte. Er hatte sich einen Karren gebaut und reiste, möglicher Überfälle wegen, mit einer Doppelflinte.
Fast drei Jahre blieben sie in Caatinga do Moura. Nach dem Regen bestellten die Bauern wieder die Felder, die Rinderhirten hüteten wieder die dezimierten Herden, und das alles
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