Der Krieg am Ende der Welt
einem langen Tag vom Pflügen, Brandmarken, Kastrieren oder Schafscheren ins Dorf geritten kamen, abstiegen und in den Ausschank der Dona Epifania eilten, um ihren Durst zu stillen. Eingehängt, johlend, schwankend kamen sie wieder heraus, manchmal lustig, manchmal wütend, und dann suchten sie ihn in den Gassen, um ihren Spaß mit ihm zu treiben oder ihre Wut an ihm auszulassen. Er hatte ein überaus feines Gehör entwickelt und erkannte sie von weitem an ihrem Gelächter oder ihren Schimpfwörtern, und dann lief er, dicht an Mauern und Fassaden gedrängt, umnicht bemerkt zu werden, nach Hause oder versteckte sich, wenn er weiter weg war, in Büschen oder auf einem Dach, bis die Gefahr vorbei war. Er entging ihr nicht immer. Manchmal erwischten sie ihn durch List – zum Beispiel dadurch, daß sie ihm ausrichten ließen, jemand brauche ihn, um ein Gesuch an den Gemeinderichter zu schreiben. Dann trieben sie stundenlang ihr Spiel mit ihm, zogen ihn nackt aus, um festzustellen, ob er nicht unterm Kleid noch andere Monstrositäten verbarg als die offen sichtbaren, setzten ihn auf ein Pferd oder wollten ihn mit einer Ziege kreuzen, um zu sehen, was die Mischung ergäbe.
Mehr der Ehre halber als aus Liebe griffen Celestino Pardinas und die Seinen ein, wenn sie davon erfuhren, und bedrohten die Spaßvögel, und einmal gingen die älteren Brüder mit Messern und Knüppeln los, um den Schreiber aus einer Bande Betrunkener herauszuschlagen, die ihn zuerst in Melasse gebadet, dann auf einem Haufen Abfall gewälzt und danach wie ein Tier unbekannter Gattung am Strick durch die Gassen gezogen hatten. Aber die Verwandten waren diese Vorfälle leid, und der Löwe wußte es besser als jeder andere. Deshalb hörte man ihn auch nie seine Peiniger verklagen.
Das Schicksal des jüngsten Sohnes von Celestino Pardinas erfuhr eine entscheidende Wendung an dem Tag, als Almudia, die kleine Tochter des Klempners Zósimo, die einzige, die ihre sechs entweder totgeborenen oder kurz nach der Geburt gestorbenen Geschwister überlebt hatte, mit hohem Fieber und Erbrechen erkrankte. Die Arzneien und Beschwörungen Seu Abelardos waren ebenso wirkungslos wie die Gebete der Eltern. Der Heilkundige befand, das Kind sei vom »bösen Blick« befallen und jedes Gegenmittel sei nutzlos, solange der nicht gefunden würde, der den bösen Blick geworfen hatte. Verzweifelt über das Los ihrer Tochter, die ihr ein und alles war, liefen Zósimo und seine Frau durch die Hütten von Natuba, um den Schuldigen zu ermitteln. Und so gelangte durch drei Münder das Gerücht zu ihnen, am Wassergraben, der zur Fazenda Mirandola führte, sei das Mädchen bei einer heimlichen Zusammenkunft mit dem Löwen gesehen worden. Die Kranke wurde befragt und bekannte, halb im Delirium, an jenem Morgen, als sie den Wassergraben entlang zu ihremPaten Seu Nautilo gegangen sei, habe der Löwe sie gefragt, ob er ihr ein Lied vorsingen dürfe, er habe es für sie geschrieben. Und er habe es gesungen, ehe sie davongerannt sei. Nur dieses eine Mal habe er mit ihr gesprochen, doch schon früher habe sie bemerkt, daß sie auf ihren Gängen durchs Dorf häufig wie durch Zufall dem Löwen begegnete, und an seiner Art, sich zusammenzukauern, wenn sie vorbeiging, habe sie erraten, daß er mit ihr sprechen wollte.
Zósimo nahm sein Gewehr und ging mit seinen ebenfalls bewaffneten Neffen, Schwägern und Gevattern zum Haus der Pardinas, packte den Löwen, richtete den Lauf seines Gewehrs auf seine Augen und verlangte, er solle das Lied singen, damit Seu Abelardo Almudia die bösen Geister austreiben könne. Der Löwe, zitternd, die Augen weit aufgerissen, blieb stumm. Mehrmals wiederholte der Klempner, er werde ihn in seinen dreckigen Schädel schießen, wenn er den Zauber nicht preisgebe. Dann lud er die Waffe. Ein Blitz panischer Angst entstellte für Sekunden die großen, intelligenten Augen. »Wenn du mich tötest, erfährst du den Zauber nicht und Almudia wird sterben«, murmelte er mit vor Entsetzen verzerrter Stimme. Totenstille trat ein. Zósimo schwitzte. Seine Verwandten hielten mit ihren Gewehren Celestino Pardinas und seine Kinder in Schach. »Läßt du mich gehen, wenn ich es singe?« ließ sich die dünne Stimme des Löwen vernehmen. Zósimo nickte. Da begann der Löwe, sich verschluckend und kicksend, zu singen. Er sang – so erzählten, wisperten, klatschten später die Einwohner von Natuba, diejenigen, die zugegen gewesen waren, und diejenigen, die es nicht waren, aber
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