Der Krieg am Ende der Welt
sah sie eines Tages ein und aus gehen im Haus des Pfarrers, das mit Hilfe der Nachbarn zu Dach, Türen und Fenstern gekommen war. Daß es zwischen diesen beiden etwas mehr gab als gelegentliche Schwächen, zeigte sich an dem Tag, als Alexandrinha mit entschlossener Miene die Kneipe betrat, in der Pater Joaquim nach einer Tauffeier mit einer Gruppe von Freunden saß und selig Gitarre spielte und trank. Als Alexandrinha eintrat, verstummte er. Sie ging zu ihm und ließ mit aller Bestimmtheit diesen Satz auf ihn los: »Sie kommen jetzt sofort mit, Sie haben genug getrunken.« Ohne zu antworten, folgte ihr der Pfarrer.
Als der Heilige zum erstenmal nach Cumbe kam, lebte Alexandrinha schon mehrere Jahre im Haus des Geistlichen. Sie war zu ihm gezogen, um ihn von einer Wunde zu heilen, die er bei einer Schießerei zwischen der Bande von João Satanás und den Polizisten von Hauptmann Geraldo Macedo, dem Räuber-Jäger, abbekommen hatte, und war dort geblieben. Sie hatten drei Kinder, die von allen nur als die Kinder Alexandrinhas behandelt wurden. Sie selbst nannten sie Dom Joaquims »Wärterin«. Ihre Anwesenheit wirkte sich mäßigend auf das Leben des Pfarrers aus, obwohl sich seine Sitten nicht von Grund auf änderten. Die Leute holten sie, wenn es schwierig wurde mit dem Pfarrer, weil er über den Durst getrunken hatte, und ihr gegenüber war er immer fügsam, selbst im größten Rausch. Vielleicht trug dieser Umstand dazu bei, daß die Dorfleute dieses Verhältnis ohne viel Aufhebens hinnahmen. Als der Heilige zum erstenmal nach Cumbe kam, war sie von allen so akzeptiert, daß selbst die Eltern und die Geschwister Alexandrinha in ihrem Haus besuchten und ihre Kinder unbefangen als ihre Enkel und Geschwisterkinder behandelten. Deshalb schlug es wie eine Bombe ein, als der hochgewachsene, magere, in Violett gekleidete Mann mit den funkensprühenden Augen und dem Nazarener Haar bei seiner Predigt in der Kirche von Cumbe, von der Kanzel herunter, die zu besteigen Pater Joaquim ihm freundlich lächelnd gestattet hatte, gegen die schlechten Hirten wetterte. Grabesstille entstand in der überfüllten Kirche. Niemand sah den Pfarrer an, der auf der ersten Bank saß und plötzlich mit weit aufgerissenen Augen starr vor sich hin sah, auf das Kruzifix oder auf seineBeschämung. Und auch zu Alexandrinha Corrêa schauten die Leute nicht hin, die in der dritten Reihe saß, sehr bleich, und den Prediger ansah. Es war, als wäre der Heilige von Feinden des Paares nach Cumbe gelockt worden. Ernst, unbeugsam, mit einer Stimme, die abprallte von den dünnen Wänden der Kirche und widerhallte im Deckengewölbe, sagte er schreckliche Dinge über die Auserwählten des Herrn, die Diener Satans wurden, obwohl sie die Weihen empfangen hatten und das Ordenskleid trugen. Erbittert tadelte er sämtliche Sünden Pater Joaquims: die Schande der Hirten, die statt mit gutem Beispiel voranzugehen, Zuckerrohrschnaps tranken bis zur Bewußtlosigkeit; die Unschicklichkeit derer, die, statt zu fasten und karg zu leben, sich den Bauch vollschlugen, ohne zu bedenken, daß sie unter Menschen lebten, die kaum zu essen hatten; das Ärgernis derer, die das Gelübde der Keuschheit vergaßen und Lust suchten bei Frauen, die sie ins Verderben stürzten, weil sie ihre armen Seelen dem Höllenhund schenkten, statt sie geistlich zu lenken. Als sich die Leute ein Herz faßten und aus den Augenwinkeln zu ihrem Pfarrer hinüberschielten, sah der, knallrot im Gesicht, immer noch geradeaus.
Was hier geschehen und tagelang Ortsgespräch war, hinderte nicht, daß der Ratgeber weiterhin in der Kirche Nossa Senhora da Conceição predigte, solange er in Cumbe blieb, und es abermals tat, als er Monate später mit einem Anhang frommer Seelen wiederkam und dies auch in den folgenden Jahren tat. Der Unterschied war nur, daß Pater Joaquim bei den späteren Predigten abwesend zu sein pflegte. Alexandrinha nicht. Sie saß jedesmal in der dritten Reihe, stupsnasig, und hörte die Ermahnungen des Heiligen gegen Reichtum und Exzesse, sein Lob der strengen Sitten, seine Aufforderung, durch Opfer und Frömmigkeit die Seele auf den Tod vorzubereiten. Die ehemalige Wahrsagerin erbrachte Beweise wachsender Frömmigkeit. Sie zündete in den Nischen auf den Gassen Kerzen an, kniete lange und in tiefster Sammlung vor dem Altar, veranstaltete Dank- und Bittgottesdienste, Rosenkränze und Novenen. Eines Tages erschien sie mit einem schwarzen Kopftuch und einem Skapulier mit dem Bild des
Weitere Kostenlose Bücher