Der Krieg am Ende der Welt
Augen, ihre Verwirrung, als sie an der Art, wie er ihre Kleider aufwühlte, begriff, was er von ihr wollte. Sie hatte diesmalkeinen Widerstand geleistet, aber auch ihren Widerwillen oder eher ihre Gleichgültigkeit nicht verborgen. Deshalb diese ruhige Resignation ihres Körpers, den Gall im Geist immer vor Augen gehabt hatte, als er verwirrt am Boden lag, betäubt, erfüllt von etwas, das Verlangen, Angst, Sehnsucht, Unsicherheit oder blinde Auflehnung gegen die Falle sein konnte, in die er geraten war. Durch einen Nebel aus Schweiß, mit den Wunden an Hals und Schulter, die ihn schmerzten, als wären sie wieder aufgesprungen und das Leben entwiche durch sie, sah er Jurema in der Abenddämmerung, sah, wie sie das Maultier untersuchte, ihm Augen und Maul aufmachte. Dann sah er, immer vom Boden aus, wie sie Zweige und Laub zusammentrug, um Feuer zu machen. Und sah, wie sie, ohne ihm ein Wort zu sagen, ein Messer aus dem Gürtel zog und ein paar rötliche Streifen aus den Schenkeln des Tiers herausschnitt, sie aufspießte und über dem Feuer aufstellte. Sie sah aus, als ob sie eine gewöhnliche Hausarbeit verrichte, als ob nichts Ungewöhnliches geschehe, als hätten die Ereignisse dieses Tages nicht ihre ganze Existenz verändert. Fatalistinnen, dazu erzogen, hinzunehmen, was das Leben bringt, es mochte gut oder schlecht oder grausam sein. Er dachte: Für sie bist du das Grausame. Nach einer Weile hatte er aufstehen, ein paar Schluck Wasser trinken und, mit großer Anstrengung wegen des Schmerzes in seiner Kehle, kauen können. Die Fleischstücke erschienen ihm eine Götterspeise. Beim Essen hatte er ihr, in der Vorstellung, es müsse sie maßlos erstaunen, zu erklären versucht, was geschehen war: Wer Epaminondas Gonçalves war, sein Vorschlag mit den Waffen, und er sei es gewesen, der das Attentat in Rufinos Haus geplant habe, um ihm die Gewehre, die er selbst ihm gegeben hatte, zu stehlen und ihn zu töten, weil er eine Leiche mit heller Haut und rotem Haar brauche. Doch er stellte fest, daß sie nicht interessierte, was sie hörte. Kauend mit ihren kleinen, regelmäßigen Zähnen, die Fliegen verscheuchend, hörte sie ihm zu, ohne zuzustimmen oder Fragen zu stellen. Manchmal richtete sie ihre Augen auf ihn, die mehr und mehr in der Dunkelheit versanken, und dann kam er sich dumm vor. Er dachte: Ich bin es. Er war es, er hatte deutlich gezeigt, daß er es war. Es wäre seine moralische und politische Pflicht gewesen zu mißtrauen, er hätte vermuten müssen, daß ein ehrgeizigerBourgeois, der fähig war, eine Verschwörung wie die mit diesen Waffen gegen seine Feinde auszuhecken, auch gegen ihn etwas im Schilde führen konnte. Eine englische Leiche! Das bedeutete, daß das mit den Gewehren kein Irrtum gewesen war: Es seien französische, hatte er gesagt, obwohl er wußte, daß es englische waren. Galileo hatte es vor Rufinos Haus entdeckt, als er die Packen auf dem Karren zurechtrückte. Die Fabrikmarke auf den Läufen war ihm ins Auge gesprungen: Liverpool, 1891. In Gedanken hatte er noch einen Witz gemacht: Soviel ich weiß, hat Frankreich England noch nicht erobert. Englische Gewehre sind das, keine französischen. Englische Gewehre, eine englische Leiche. Was hatte er vor? Er konnte es sich denken: eine kalte, grausame, gewagte und womöglich wirksame Idee. In seiner Brust regte sich wieder die Angst, und er dachte: Er wird mich töten. Er kannte die Gegend nicht, er war verwundet, er war ein Ausländer, dessen Spur jeder entdecken konnte. Wo sollte er sich verstecken? In Canudos. Ja, ja. Dort würde er sicher sein oder wenigstens nicht in dem bedrückenden Gefühl sterben, ein Narr zu sein. Canudos wird Freundschaft mit dir schließen, Genosse, stellte er sich vor.
Er zitterte vor Kälte, Schulter, Hals und Kopf schmerzten ihn. Um seine Wunden zu vergessen, versuchte er an die Soldaten von Major Febrônio de Brito zu denken: Ob sie schon nach Monte Santo aufgebrochen waren? Würden sie diesen hypothetischen Zufluchtsort vernichten, ehe er dort ankam? Er dachte: Das Geschoß ist nicht eingedrungen, hat die Haut nicht berührt, sie nur im Vorbeisausen aufgerissen. Die Kugel, übrigens, mußte klein gewesen sein, wie der Revolver, eine Kugel, um auf Spatzen zu schießen. Nicht der Schuß, der Messerstich war das Schlimme, er war tief eingedrungen und hatte Venen und Nerven durchschnitten, von hier kamen das Brennen und die Stiche bis in die Ohren, die Augen, den Nacken. Der Schüttelfrost durchschauerte ihn von
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