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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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guten Jesus auf der Brust. Es hieß, daß zwischen ihr und dem Pfarrer nichts mehr passierte, was Gott hätte beleidigen können, obwohl sie weiterhin untereinem Dach lebten. Wenn sich die Leute ein Herz faßten und nach Alexandrinha fragten, lenkte Pater Joaquim die Unterhaltung auf ein anderes Thema. Man sah ihm an, daß er unruhig war. Obwohl er weiterhin fröhlich lebte, änderte sich seine Beziehung zu der Frau, die sein Haus teilte und die Mutter seiner Kinder war. Zumindest in der Öffentlichkeit behandelten sie sich mit der Höflichkeit zweier Menschen, die sich kaum kennen. Der Ratgeber weckte in dem Pfarrer von Cumbe undefinierbare Gefühle. Empfand er ihm gegenüber Furcht, Achtung, Neid, Mitleid? Tatsache war, daß er ihm die Kirche öffnete, sooft er kam, ihm die Beichte abnahm, das Abendmahl reichte und, solange er sich in Cumbe aufhielt, ein Muster an Mäßigkeit und Frömmigkeit war.
    Als Alexandrinha Corrêa nach dem letzten Besuch des Heiligen unter den Pilgern hinter ihm herging und alles verließ, was sie besaß, war Pater Joaquim der einzige im Dorf, der sich nicht zu wundern schien.
    Er dachte, er habe den Tod noch nie gefürchtet und fürchte ihn auch jetzt nicht. Doch er hatte ein Zittern in der Hand, ein Schüttelfrost überlief ihn, und jeden Augenblick rutschte er näher ans Feuer, um seine eiskalten Eingeweide zu wärmen. Und dabei schwitzte er. Er dachte: Du stirbst vor Angst, Gall. Diese Schweißtropfen, dieser Schüttelfrost, diese Kälte in seinen Eingeweiden und dieses Zittern waren die panische Angst dessen, der den Tod nahen fühlte. Du kennst dich schlecht, Genosse. Oder hatte er sich verändert? Denn er war sicher, daß er als junger Mann nichts Ähnliches empfunden hatte, als er im Gefängnis in Paris auf seine Erschießung wartete, noch in der Krankenstation in Barcelona, als die dummen Bourgeois ihn kurierten, damit er gesund das Hochgerüst besteigen und mit einem Eisenring erwürgt werden konnte. Er lag im Sterben: Die Stunde ist gekommen, Galileo.
    Würde sein Glied steif werden in diesem letzten Augenblick, wie das angeblich bei Erhängten und Enthaupteten der Fall war? Irgendeine verquere Wahrheit verbarg sich wohl in diesem absurden Glauben, irgendeine geheimnisvolle Affinität zwischen dem Geschlecht und dem Tod. Andernfalls wäre ihmdas an diesem Morgen und das vor einem Augenblick nicht passiert. Vor einem Augenblick. Eher vor Stunden. Es war tiefe Nacht, Myriaden von Sternen standen am Himmel. Er erinnerte sich an einen Brief, den er sich für L’Etincelle de la révolte ausgedacht hatte, als er noch in der Pension in Queimadas wartete, und in dem er erklären wollte, daß die Himmelslandschaft in dieser Weltgegend unendlich abwechslungsreicher sei als die Erde und daß dies zweifellos einen Einfluß auf die religiöse Veranlagung dieser Menschen habe. Unter dem Knistern des verlöschenden Feuers hörte er Jurema atmen. Ja, die Witterung des nahen Todes, das war es gewesen, was ihn zweimal an einem Tag mit steifem Glied zu dieser Frau getrieben hatte. Seltsame Beziehung, Schrecken und Samen, sonst nichts, dachte er. Warum hatte sie ihn gerettet, war sie dazwischengetreten, als Caifás ihm den Gnadenschuß hatte geben wollen? Warum hatte sie ihm aufs Maultier geholfen und ihn begleitet, gepflegt und bis hierher gebracht? Warum benahm sie sich so einem Mann gegenüber, den sie hassen mußte?
    Fasziniert erinnerte er sich dieses plötzlichen, drängenden, unabweisbaren Bedürfnisses, als das Maultier in vollem Trab gestürzt war und beide abgeworfen hatte. Wie weit waren sie von Queimadas? War der Bach, in dem er sich wusch und verband, der Peixe? Hatten sie auf einem Umweg Riacho da Onça hinter sich gelassen, oder waren sie noch nicht bis zu diesem Ort gekommen? Sein Gehirn war ein Wirbel von Fragen gewesen, aber die Angst war verschwunden gewesen. Hatte er große Angst gehabt, als das Maultier zusammengebrochen war und er sich fallen, über den Boden rollen sah? Ja. Das war die Erklärung: die Angst. Der sofortige Verdacht, das Tier sei nicht vor Ermüdung gestorben, sondern an einem Schuß der Capangas, die ihn verfolgten, um eine englische Leiche aus ihm zu machen. Und vermutlich weil er instinktiv Schutz gesucht hatte, war er auf die Frau gesprungen, die mit ihm gestürzt war. Hatte Jurema ihn für einen Verrückten gehalten, vielleicht für den Teufel? Sie unter diesen Umständen zu nehmen, in diesem Augenblick, in diesem Zustand. Deshalb das Verstörte in ihren

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