Der Krieg am Ende der Welt
es möglich, daß einfache Jagunços, gewöhnliche Viehdiebe, diese europäischen Raffinessen, Kugeln mit Sprengladung, kennen? Und was, andererseits, bedeuten diese Personen von mysteriöser Herkunft? Die Leiche, die in Ipupiará gefunden wurde? Das Subjekt, das miteinem Beutel voll Sterling-Pfunden in Capim Grosso auftaucht und zugibt, einen Trupp englisch sprechender Reiter geführt zu haben? Sogar in Belo Horizonte werden Ausländer entdeckt, die Lebensmittel und Schießpulver nach Canudos bringen wollen. Zu vieles trifft zusammen, als daß man dahinter nicht eine antirepublikanische Verschwörung sehen müßte. Sie geben sich nicht geschlagen. Aber es hilft ihnen nichts. Sie sind in Rio gescheitert, sie sind in Rio Grande do Sul gescheitert, sie werden auch in Bahia scheitern, Senhores.«
Zwei-, dreimal ist er kurzen, schnellen, nervösen Schritts vor den fünf Journalisten auf und ab gegangen. Jetzt steht er wieder in seiner Ausgangsposition neben dem Tisch mit den Landkarten. Als er sie erneut anspricht, ist sein Ton autoritär, drohend:
»Ich habe gestattet, daß Sie das Siebte Regiment begleiten, aber Sie werden sich einigen Anordnungen zu fügen haben. Die Kabelberichte, die Sie von hier abschicken, müssen erst von Major Cunha Matos oder Oberst Tamarindo genehmigt werden. Das gleiche gilt für die Lageberichte, die Sie während des Feldzugs durch Boten abschicken. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß der Versuch, einen Artikel ohne den Sichtvermerk meiner Adjutanten abzuschicken, ein schwerer Verstoß wäre. Ich hoffe, Sie verstehen: jeder Irrtum, jede Ungeschicklichkeit oder Unvorsichtigkeit kann dem Feind nützen. Wir stehen im Krieg, vergessen Sie das nicht. Ich hoffe, daß Sie einen angenehmen Aufenthalt beim Heer haben werden. Das ist alles, meine Herren.«
Er wendet sich an die Offiziere seines Generalstabs, die sich um ihn scharen, und augenblicklich, als wäre ein Zauber gebrochen, kommt wieder Geschäftigkeit, Lärm, Bewegung in den Bahnhof von Queimadas. Die fünf Journalisten stehen noch immer da, wo sie standen, ratlos, verstört, enttäuscht sehen sie sich an, sie können nicht begreifen, warum Oberst Moreira César sie wie potentielle Feinde behandelt, warum er ihnen nicht erlaubt hat, die eine oder andere Frage zu formulieren, warum er ihnen nicht den geringsten Beweis von Sympathie oder wenigstens Höflichkeit gegeben hat. Der Kreis um den Oberst verkleinert sich, sooft ein Offizier, den empfangenen Instruktionen gehorchend, die Hacken zusammenschlägt undabtritt. Als er allein dasteht, sieht sich der Oberst um, eine Sekunde lang glauben die fünf Journalisten, er werde zu ihnen kommen, doch sie irren. Er blickt, als hätte er sie eben erst entdeckt, auf die hungrigen, verbrannten, jämmerlichen Gesichter, die an den Scheiben der Türen und Fenster kleben. Er beobachtet sie mit einem undefinierbaren Ausdruck, die Stirn gerunzelt, die Unterlippe vorgeschoben. Plötzlich geht er entschlossen zur nächsten Tür. Er öffnet sie weit und heißt mit einer Geste den Menschenschwarm willkommen, Männer, Frauen, Kinder, alte Leute, beinahe in Lumpen, viele barfuß, die ihn respektvoll, ängstlich oder bewundernd ansehen. Mit gebieterischer Gebärde fordert er sie auf hereinzukommen, lockt, zieht, deutet ermunternd auf den langen Tisch, auf dem unter Aureolen gieriger Insekten die Getränke und das Essen verkommen, das der Gemeinderat zur Begrüßung der Offiziere bereitgestellt hat.
»Kommen Sie, kommen Sie«, sagt er zu ihnen, führt sie, schiebt sie und entfernt eigenhändig das Tüllnetz. »Das Siebte Regiment lädt Sie ein. Kommen Sie, haben Sie keine Angst. Das ist für Sie. Sie haben das nötiger als wir. Trinken Sie, essen Sie, und guten Appetit.«
Nun braucht er sie nicht mehr aufzufordern, nun sind sie schon, aufgeregt, gierig, ungläubig, über Teller, Gläser, Schüsseln hergefallen; mit den Ellenbogen stoßend, sich rempelnd und schiebend streiten sie vor dem traurig gewordenen Blick des Oberst um Essen und Getränke. Die Journalisten stehen noch immer, wo sie standen, offenen Mundes. Eine kleine Alte, ein Stück Fleisch in der Hand, von dem sie abbeißt, bleibt, schon auf dem Rückzug, vor Oberst Moreira César stehen, das Gesicht voll Dankbarkeit.
»Möge der Herrgott Sie beschützen, Oberst«, murmelt sie und malt das Kreuzeszeichen in die Luft.
»Das ist der Herrgott, der mich beschützt«, antwortet Moreira César und berührt seinen Degen.
In seiner besten Zeit
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