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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Aber wenn ihr nicht geht, dann soll mir niemand mehr sagen, welchen Weg der Zirkus nehmen soll.« Keiner ging, sicher weil sie die anderen Menschen noch mehr fürchteten als die Katastrophe. In Caatinga do Moura starb Dádiva, die Frau des Zigeuners, imFieberdelirium und mußte in Taquarandi begraben werden. Eins nach dem andern mußten sie ihre Tiere aufessen. Als anderthalb Jahre später wieder Regen kam, lebte vom Zoo nur die Kobra, und von den Zirkusleuten waren Julião und seine Frau, der Neger Solimão, der Riese Pedrino und der Spinnenmann gestorben. Den Wagen mit den aufgemalten Figuren hatten sie verloren, und also luden sie ihre Sachen nun auf zwei Karren, die sie so lange selber zogen, bis Menschen, Wasser, Leben in die verwüstete Gegend zurückkehrten und der Zigeuner zwei Zugtiere kaufen konnte.
    Sie gaben wieder Vorstellungen und verdienten so viel, daß sie zu essen hatten. Aber es war nicht mehr wie früher. Verstört über den Verlust seiner Kinder, verlor der Zigeuner das Interesse an der Schaustellerei. Er hatte seine drei Kinder in Caldeirão Grande bei einer Familie gelassen, die für sie sorgen sollte, und als er sie nach der Dürre holen wollte, konnte keiner im Dorf ihm über die Familie Campinas und die Kinder Auskunft geben. Er gab nicht auf, und noch Jahre später fragte er in den Dörfern, ob nicht jemand sie gesehen oder von ihnen gehört habe. Das Verschwinden seiner Kinder, die alle für tot hielten, verwandelte diesen Mann, der die Energie in Person gewesen war, in einen apathischen, mürrischen Menschen, der sich häufig betrank und wegen jeder Kleinigkeit in Wut geriet. Eines Abends spielten sie in der Siedlung Santa Rosa, und der Zigeuner präsentierte eine Nummer, die früher der Riese Pedrino ausgeführt hatte: die Aufforderung an jeden im Publikum, ihn niederzuringen. Ein starker Mann trat vor und streckte ihn mit dem ersten Hieb zu Boden. Der Zigeuner stand auf, sagte, er sei ausgerutscht, der Mann solle es noch einmal versuchen. Der Starke schickte ihn ein zweites Mal zu Boden. Wieder auf den Beinen, fragte ihn der Zigeuner mit funkelnden Augen, ob er den Kampf mit dem Messer in der Hand wiederholen würde. Der andere lehnte ab, doch der Zigeuner provozierte ihn so, daß er die Herausforderung annehmen mußte. Mit der gleichen Leichtigkeit wie zuvor ließ er den Zigeuner mit einer Wunde am Hals und glasigen Augen auf dem Boden zurück. Später erfuhren sie, daß der Zirkuschef die Tollkühnheit besessen hatte, den Banditen Pedräo herauszufordern.Trotz allem verschwand der Zirkus nicht, er überlebte sich selbst aus bloßer Trägheit, wie zum Beweis, daß nichts stirbt, was nicht sterben soll (wie die Bärtige sagte). Er war freilich nur noch der gespenstische Restbestand des alten Zirkus, um einen Eselskarren geschart, unter dessen geflicktem Zeltdach noch die letzten Artisten schliefen: die Bärtige, der Zwerg, der Idiot und die Kobra. Sie gaben noch Vorstellungen, und die Liebes- und Abenteuergeschichten des Zwergs hatten den gleichen Erfolg wie früher. Um den Esel zu schonen, gingen sie zu Fuß, und nur die Kobra im Weidenkorb profitierte vom Wagen. Auf ihrer Wanderschaft durch die Welt hatten diese letzten Artisten Heilige, Banditen, Pilger, Flüchtlinge getroffen, die unerwartetsten Gesichter und Aufmachungen. Aber bis zu diesem Morgen war ihnen noch nie Männerhaar von roter Farbe vorgekommen wie das des Mannes, den sie nach einer Kurve an der Straße nach Riacho da Onça liegen sahen. Er bewegte sich nicht, steckte in schwarzen Kleidern, die der Staub weiß gefleckt hatte. Ein paar Meter weiter lag der verwesende Kadaver eines Maultieres, den Geier zerfleischten, und ein Häufchen Glut. Und neben der Asche sah ihnen eine junge Frau mit einem Ausdruck entgegen, der nicht traurig wirkte. Wie auf Befehl blieb der Esel stehen. Die Bärtige, der Zwerg und der Idiot untersuchten den Mann, unter dessen flammenfarbenem Haar sie die rotblaue Wunde an der Schulter und das geronnene Blut an Bart, Ohr und Hemdbrust sehen konnten.
    »Ist er tot?« fragte die Bärtige.
    »Noch nicht«, antwortete Jurema.
    »Feuer wird diesen Ort verbrennen«, sagte der Ratgeber, während er sich auf der Pritsche aufsetzte. Sie hatten nur vier Stunden geruht, denn die Prozession am Abend zuvor war erst nach Mitternacht zu Ende gewesen, aber der Löwe von Natuba, der ein feines Gehör hatte, hörte im Schlaf die unverwechselbare Stimme und sprang vom Boden auf, griff nach Feder und Papier, um den

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