Der Krieg Der Diebe
noch leben könnte, erschreckte ihn mehr als der Tod. Aber er mußte handeln. Er ging hinein, durch die Bettlerhorde, zwischen zerlumpten Männern und Frauen. Ihr Götter! Da war ein Kind mit starrem, grausamem Grinsen. Er beugte sich über die mutmaßliche Leiche und hob sie auf. Er dachte nicht an gebrochene Knochen, plagte sich nur mit dem schlaffen Gewicht. Der Kopf hing hinunter. Er hatte nur noch ein Auge. Überall war Blut.
Haught kam ihm, an Ischade vorbei, entgegen. Er nahm den anderen Arm dieses vielleicht noch lebendigen Mannes, und sie schleppten ihn zur Tür. Moria stand dort. Mor-am lehnte an der Wand.
»Mor-am«, sagte Ischade, ohne den Kopf zu drehen. »Denk daran!« Leiser fügte sie hinzu: »Schafft ihn jetzt weg. Ich habe hier noch zu tun.«
Der Alptraum hielt an, das Schweigen, die lastende Stille, die in der ganzen Straße mit ihren Elendsquartieren herrschte. Nicht Ischades Blick hatte diese Stille bewirkt, nein, ein Zauber nahm Mradhon an. Oder Furcht. Vielleicht kannte man sie hier. Möglicherweise verstand man im Abwind besser als auf der anderen Flußseite, wer sie war und was ihr Erscheinen bedeutete.
»Kommt«, brummte Mradhon. Er hob den schlaffen Arm besser über seine Schulter. »Verdammt, lauf endlich!« sagte er zu Moria. Mor-am hinkte bereits eilig zwischen den provisorischen Zelten und Hütten hindurch und verschwand in der Dunkelheit.
Es würde nur anhalten, solange Ischade da war, solange sie sich mit Moruth beschäftigte, der irgendwo in der Stube hinter ihnen war. Was war das Reich eines Bettlerkönigs? fragte er sich flüchtig, während sie keuchend dahinhasteten und er sich mit Haught plagte, die Halbleiche an all den Hindernissen, den Kisten und Abfallhaufen von des Bettlerkönigs Hof vorbeizuschleppen. Er wünschte sich, er hätte das Gesicht erkannt, aber er hatte den Blick auf keinen von ihnen gerichtet, und nur soweit es nötig war, auf den Mann, den sie trugen. Ihn quälten bereits mehr als genügend Alpträume. Am Ende der Straße bogen sie um die Ecke. Er verdrehte den Hals nach Moria.
»Närrin!« keuchte er. »Lauf endlich voraus!«
»Wo ist mein Bruder?« Ihre Stimme verriet, daß sie der Panik nahe war. Er sah etwas schimmern. Sie hielt ihr Messer in der Hand. »Wohin ist er verschwunden?«
»Auf der Straße irgendwo«, krächzte Haught. Sie schleppten die schlaffe Last weiter, den Weg entlang, den sie gekommen waren. Mor-am war nicht zu sehen.
»Brücke«, quetschte Mradhon hervor, während er und Haught so schnell liefen, wie es ihre Last zuließ. »Die Stiefsöhne wollen diesen Mann. Sie sind bestimmt irgendwo da draußen und bewachen die verfluchte Brücke.«
Es war ein langer Weg durch die Straßen, und sie hörten ihre Schritte und ihren keuchenden Atem überlaut. Moria rannte voraus und spähte um die Ecken. Plötzlich verschwand sie um eine Ecke und kam nicht gleich zurück. Haught wollte weiter, doch Mradhon hielt ihn zurück.
Da tauchte Moria schattengleich wieder auf, die Hand erhoben, als hielte sie drohend das Messer, und ein zweiter Schatten kam in sicherem Abstand mit ihr und blieb stehen. Mor-am war zurück. »B-b-boot.« Sein Atem kam rasselnd. »S-sie s-sagt, k-kommt! K-kommt sch-schon!«
»Der Fluß hat Hochwasser«, zischte Mradhon. Das schlaffe Gewicht sackte gegen ihn. »Der Fluß steht bis zum Brückenboden, hörst du? Kein Boot kommt gegen die Strömung an.«
»S-sie s-sagt. K-kommt!«
Einen Fuß nachziehend, hastete Mor-am weiter. Moria blieb wie angewurzelt stehen. Falsch, sagte eine Stimme in Mradhon Vis. Er traute Morias Zwillingsbruder nicht. Doch eine andere Stimme entgegne-te: Sie! Der Fluß! Ischade.
»Kommt!« Er hatte sich entschieden. Haught schlang den schlaffen Arm wieder um seine Schulter, und sie folgten Mor-am.
Fluchend folgte auch Moria und rannte mit ihnen durch die Dunkelheit unter den tropfenden Dachrinnen. Dann überholte sie die Männer, um sie wieder zu führen und für sie Ausschau zu halten.
Geräusche wurden laut. Sehr viele.
»Hinter uns«, keuchte Haught. Mradhon war nicht sicher, doch sie klangen, als kämen sie von hinter ihnen. Er rannte, was er konnte, und seine Lungen schmerzten, als Haught stolperte und sich wieder aufrichtete. Und jetzt war Moria erneut um eine Ecke verschwunden.
Sie wankten durch die letzte Gasse und die Schräge zum Fluß hinunter, platschten durch die Fluten, die sich hier von den Abwinderstraßen ergossen, vorbei an einer niedrigen Mauer und weiter hinunter.
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