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Der Krieg der Trolle

Der Krieg der Trolle

Titel: Der Krieg der Trolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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überzeugter wurde sie, dass nicht geplant war, dieses Lager für eine längere Belagerung zu nutzen. Es war zu durcheinander, zu wenig geordnet, viele Zelte standen so eng, dass man kaum zwischen ihnen durchkam, geschweige denn ein Kochfeuer entzünden konnte.
    Zwischen dem Lager und der Stadt befand sich eine offene Fläche, einst Ackerland, jetzt ein Schlachtfeld. Die Angreifer hatten sich an den Rand ihres Lagers zurückgezogen, Reihe um Reihe von Kriegern, bewaffnet mit Schwertern, Äxten, Bögen, Speeren und vielem Kriegsgerät mehr. Als sie das Banner sahen, bildeten sie eine Gasse, auch ohne Befehl. Sie waren sehr ruhig. Nur hier und da jubelte einer der Krieger Ionnis zu, aber selbst das klang in Camilas Ohren unehrlich.
    Sobald sie zwischen den Reihen der Soldaten hervortraten, konnte die junge Geistseherin das ganze Ausmaß der Katastrophe erkennen. Das Schlachtfeld war mit Toten und Verwundeten übersät. Hier und dort bewegten sie sich noch, ein paar stöhnten vor Schmerzen, eine einzelne, gepeinigte Stimme rief wieder und wieder um Hilfe. Je näher sie an die Mauern kamen, desto mehr Leiber lagen auf dem zertrampelten, blutbeschmierten Grund.
    Ihre Begleiter schien das nicht zu stören. Camila jedoch schnürte es die Kehle zu, als sie an Toten vorbeiging, deren weit geöffnete Augen nun nichts mehr als die Dunklen Pfade sahen. Eine Kriegerin, die sicher weniger Winter als Camila zählte, hob flehentlich einen Arm. Sprechen konnte sie nicht mehr, ein Pfeil steckte in ihrem Hals, ein weiterer ragte aus ihrem Rücken. Camila blieb stehen, um ihr zu helfen, da packte Cerail sie grob am Arm und zerrte sie weiter.
    Die Mauern der Stadt waren noch ein gutes Stück entfernt, als der Alte stehen blieb und Ionnis daraufhin ebenfalls. Camila sah, dass die Zinnen voller Menschen waren. Die Verteidiger starrten auf sie herab. Sie versuchte, einzelne Gesichter auszumachen, Natiole zu erkennen, aber erst, als sich eine Gestalt über die Brüstung lehnte, gelang es ihr.
    »Bruder!«, rief Ionnis. »Ich komme zu dir, um zu verhandeln.«
    »Es gibt nichts zu verhandeln«, erwiderte Natiole mit fester Stimme, die Camila gegen alle Vernunft mit Hoffnung erfüllte. »Aber wenn du deine Waffen ablegst, deinen Kriegern befiehlst, nach Hause zu gehen, und in die Stadt kommst, wirst du mit Milde empfangen werden.«
    Ionnis lachte trocken auf. Er wies auf die Stadt und auf die Reihen seiner Soldaten hinter ihm. »Viele folgen mir, und nur wenige bemannen diese Mauer. Der Sieg ist uns gewiss. Die einzige Frage ist: Wie viel Blut muss bis dahin vergossen werden?«
    »Wenn du dir deines Sieges so sicher bist, warum willst du dann verhandeln?«
    Der Alte beugte sich vor und sagte leise etwas, was Camila nicht verstehen konnte. Ionnis wandte sich zu ihr um und sah sie an, als erblickte er sie zum ersten Mal.
    »Vielleicht hörst du ja auf jemanden, dem du vertraust«, rief er Natiole dann zu.
    Cerail schob Camila ein Stück vor.
    »Du wirst ihn darum bitten, sich zu Verhandlungen zu treffen«, sagte der Alte ruhig und berührte sie sanft mit dem Finger an der Stirn.
    Niemals, wollte Camila antworten, doch stattdessen spürte sie, wie sie sagte: »Ja.«
    Plötzlich war sie nicht mehr Herrin über ihren eigenen Leib. Gegen ihren Willen nickte sie, trat vor, hob die Arme, bewegte sich wie eine Puppe, mit der ein anderer spielt. Entsetzt versuchte sie, zu schreien, sich fallen zu lassen, sich gegen die fremde Macht zu wehren, doch stattdessen rief sie laut: »Mein Fürst!«
    Bei den Geistern, was für Magie ist das? Als die Frage durch ihren Geist schoss, wurde Camila mit einem Schlag ruhig. Der Alte zwang ihr seinen Willen mit Magie auf. Es war ein furchtbares Gefühl, aber instinktiv besann sie sich auf ihre Ausbildung. Sie zog sich in sich selbst zurück, versenkte sich in ihrem Innersten, überließ ihren Körper der fremden Macht und öffnete sich stattdessen der Welt der Geister.
    Irgendwo, fast jenseits ihrer Wahrnehmung, spürte sie, wie sich ihr Körper immer noch bewegte, aber das Gefühl ging im Strudel der Eindrücke unter, die auf sie einstürmten. Die Geister waren aufgeregt, voller Furcht. Nur in ihrer Mitte gab es einen Punkt der Ruhe, das Auge des Sturms. Camila konzentrierte sich darauf.
    Ein weißes Leuchten erschien vor ihrem geistigen Auge, umhüllte sie, vertrieb die gewaltige Angst, die sie zu überwältigen drohte. Sie befand sich inmitten einer weißen Landschaft ohne Grenzen, ohne Landmarken. Camila fühlte sich

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