Der Krieg der Trolle
Muskeln. Doch bevor sie sich auch nur einmal richtig gestreckt hatte, wurde sie schon von den Soldaten in deren Mitte genommen und durch das Lager eskortiert.
Die Zelte waren hastig errichtet worden. Viele Abspannungen waren schlampig, und bei einem Regen würde sicher ein Teil der Planen fortgespült werden. Im Inneren der Zelte herrschte Chaos, ebenso wie im gesamten Lager. Es waren nur wenige Menschen zu sehen, und offenbar hatten viele Krieger ihre Habseligkeiten eilig irgendwo abgelegt, bevor sie in die Schlacht geschickt worden waren.
Erst im Zentrum des Lagers wirkten die Reihen der provisorischen Unterkünfte ordentlicher, und es waren mehr Menschen zu sehen. Als Camila zu dem großen, prächtigen Zelt geführt wurde, über dem der Rabenwimpel im Wind wehte, machten die zahlreichen Wachen dem kleinen Trupp bereitwillig Platz.
Sie hatte erwartet, in das Zelt gebracht zu werden, aber stattdessen kam ihr eine Handvoll Personen entgegen. Mitten unter ihnen war Ionnis, den Camila in seiner Zeit in Teremi einige Male getroffen hatte und den sie sofort wiedererkannte, obwohl er sich stark verändert hatte. Der junge Bojar wirkte unfokussiert und kränklich. Er ging so ungelenk, als könnte er sich kaum auf den Beinen halten. Seine Haut war blass und sein Gesicht aufgequollen. Seine Augen sahen starr geradeaus, und selbst als sein Blick Camila kurz streifte, war darin nichts zu lesen.
Links und rechts von ihm gingen der Alte, dessen Gesicht unter der Kapuze im Schatten lag, und Cerail. Dahinter folgte ein Wlachake, den Camila nicht kannte.
»Simean, hole das Banner«, sagte Ionnis mit ruhiger Stimme. Der Wlachake nickte und verschwand zwischen den Zelten.
»Was wollt ihr von mir?« Camila trat an einem ihrer Bewacher vorbei, der so verdutzt war, dass er gar nicht reagierte. »Ich werde euch …«
»Du wirst uns helfen, diesen Krieg zu beenden«, erklärte der Alte mit einem leisen Lächeln.
Verblüfft schwieg Camila.
»So viele Tote …«, fuhr er mit seiner seltsamen, unheimlichen Stimme fort. »Das kann doch niemand wollen, nicht wahr? Wäre es nicht besser, wenn wir einen Frieden aushandeln könnten?«
»Ja, sicherlich.« Zorn und Verachtung stiegen in Camila auf, übermannten sie beinahe. »Aber das bräuchten wir gar nicht, wenn ihr nicht den Voivoden angegriffen hättet.«
»Das mag wohl sein.« Nun lächelte auch Cerail hinterhältig. »Aber willst du das Blutvergießen nicht beenden?«
Camila biss sich auf die Zunge. Die beiden hatten den Mord an den Bauern, an Denile und an Gera auf dem Gewissen, sie waren an dem Aufstand beteiligt. Die Toten hier waren nicht zuletzt ihre Schuld. Sicher würden sie nicht zögern, auch sie auf die Dunklen Pfade zu schicken, wenn ihnen nicht passte, was sie sagte. Also nickte sie, während Ionnis zwischen seinen Begleitern stand, als ob ihn das alles nichts anginge. Dabei muss es doch sein Befehl sein, dem sie folgen! Ein Schweißtropfen lief ihm langsam die Stirn herab, aber er hob nicht einmal die Hand, um ihn abzuwischen, und blieb auch ansonsten völlig regungslos.
»Wir bieten Natiole ein Treffen an, um zu verhandeln«, erläuterte Cerail. »Den ganzen Morgen schon greifen unsere Soldaten die Mauern an. Die Lage der Eingeschlossenen ist ziemlich aussichtslos. Vielleicht rebellieren bereits seine eigenen Leute gegen ihn, um sich dem wahren Voivoden anzuschließen. Jetzt wird er geneigt sein, uns zuzuhören.«
Niemals, dachte Camila verzweifelt. Natioles Leute würden eher für ihn sterben, als das zu tun.
Der Gedanke an das belagerte Teremi legte sich schwer auf sie. Vielleicht konnten die Verteidiger wenigstens Zeit gewinnen, wenn es zu Verhandlungen kam.
»Und was soll ich dabei?«, fragte sie vorsichtig.
»Du wirst ihn darum bitten, dem Treffen zuzustimmen.« Der Alte sprach die Forderung aus, als hätte sie gar keine Wahl.
In diesem Moment kehrte Simean zurück, der ein Rabenbanner vor sich trug. Der Alte nickte kurz, und Ionnis tat es ihm einen Herzschlag später nach und schritt voran.
»Ruft alle Krieger zurück!«, befahl Cerail laut, als sie sich der Gruppe anschloss. Sie deutete mit einer einladenden Handbewegung vor sich. »Wenn du uns begleiten würdest?«
Auch wenn ihr die ganze Angelegenheit höchst merkwürdig erschien, kam Camila der Aufforderung nach, denn alles war besser als der Käfig. Und zu ihrer Überraschung blieben auch sämtliche Wachen hinter ihnen zurück.
Bald hatten sie das Lager durchquert. Je mehr Camila davon sah, desto
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