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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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guter Letzt hatte er im deutsch-französischen Vertrag vom 6. Dezember 1938 auch den Franzosen zugesagt,
    „in Zukunft alle bilateralen Fragen untereinander zu beraten, wenn die
    künftige Entwicklung dieser Fragen zu internationalen Schwierigkeiten
    führen sollte".

    Doch schon vor der Selbstauflösung der maroden Tschechoslowakei lassen Hitler, von Ribbentrop und sein Staatssekretär von Weizsäcker Paris und London wissen, daß die Reichsregierung keine weiteren Einmischungen von dieser Seite in die noch möglichen Veränderungen im Mittelosteuropa wünscht; und dieses trotz der zwei Konsultationsabkommen mit Großbritannien und Frankreich. Paris und London werten diese Abkommen jedoch als ihr Mitspracherecht in allen die Tschechoslowakei betreffenden Zukunftsfragen. Hitler aber legt die Texte wörtlich aus und stellt sich auf den Standpunkt, daß die Bitte der Slowaken um ein deutsches Protektorat eine ausschließlich deutsch-slowakische Angelegenheit gewesen sei und die Annexion der Karpato-Ukraine eine ausschließlich ungarische. Zur Rechtfertigung der Tschechei-Besetzung argumentiert Hitler im nachherein mit der Instabilität, die dieses Restgebilde in die Region getragen habe. Doch dieser Grund ist vorgeschoben. Als seine wahren Gründe muß man folgende vermuten:

    Zum ersten nimmt Hitler, der in Habsburg aufgewachsen, die Tschechen und die Tschechei offensichtlich nicht als völlig eigenständig wahr. Für ihn sind sie seit rund eintausend Jahren – bis auf die letzten 20 Jahre – Teil des Deutschen Reichs gewesen und nur durch eine Bosheit von Versailles abgetrennt. Hitler denkt und handelt in dieser Frage so, wie es zu der Zeit durchaus üblich ist. Die Tschechen und die Polen zum Beispiel setzen 1918 mit haargenau der gleichen Argumenta tion in Saint-Germain und Versailles durch, daß eine Reihe von Gebieten wegen historischer Zugehörigkeiten ihren neuen Staaten zugeschlagen werden, obwohl auch da die „zugeschlagenen" Bevölkerungen weder Tschechen noch Polen sind und das offenkundig auch nicht werden wollen. Hitler drückt dieses Denken sechs Wochen nach der Annexion in einer Reichstagsrede aus, als er betont, daß das Großdeutsche Reich selbst mit der Tschechei nur aus solchen Gebieten bestehe, die seit alten Zeiten schon dazugehörten.

    Als zweites hegt Hitler offensichtlich ein Gefühl der Rache für die Tschechen. Er hat nie vergessen, wie sie als „Leitnation" mit den Sudetendeutschen in ihrem Lande umgegangen sind. Großzügigkeit, Vergeben und Vergessen gehören nicht zu Hitlers Eigenschaften und Gewohnheiten.

    Der dritte Grund hängt direkt mit der Sicherheit des Reichs zusammen. Hitler kennt die Gefahr, die bisher von der Tschechoslowakei für Deutschland ausgegangen ist. Er hat die Gespräche der Tschechen und Franzosen von 1936 nicht vergessen, bei denen Prag Paris die Waffenhilfe gegen Deutschlands „Rücken" angeboten hat. Er hat Kenntnis von den Einweisungsbesuchen sowjetischer Luftwaffenoffiziere auf den Flugplätzen in der Tschechoslowakei. Und er zitiert auch immer wieder den französischen Luftfahrtminister Cot, der noch im Vorjahr in einem Interview geäußert hat,
    „daß gemeinsame Angriffe der französischen und der tschechischen Luft
    waffe sehr schnell alle deutschen Produktionsstätten vernichten könn
    ten". 209
    Von Cot stammt auch das Schlagwort von der Tschechoslowakei als Flugzeugträger gegen Deutschland. Hitler will die Gefahr in Deutschlands Rücken für alle Zukunft bannen. Dazu reicht es ihm dann allerdings, die Tschechei zum Protektorat zu machen und bis auf 7.000 Soldaten abzurüsten.

    Das vierte und wahrscheinlich stärkste Motiv hängt mit dem letztgenannten eng zusammen. Hitler glaubt wie in einer Zwangsvorstellung daran, daß es irgendwann in den nächsten Jahren zu einer neuen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Italien auf der einen Seite und den Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich auf der anderen kommen wird. Hitlers dahingehende Gedanken, die er erstmals am 5. November 1937 und dann noch einmal am 28. Mai 1938 in Vorträgen vor dem Reichsaußenminister und den Spitzengeneralen der Wehrmacht offenlegt, drehen sich im Kern um die Sicherstellung der Ernährung in kommenden Jahrzehnten für die in Deutschland weiterwachsende Bevölkerung. Hitler mahnt in beiden Reden die Rückgabe der von England und Frankreich 1918 annektierten Kolonien an oder Ersatz dafür in Osteuropa. Er sieht als Folge dessen einen neuen Krieg mit den

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