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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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genannten Weltkriegssiegerstaaten als höchst wahrscheinlich an und fürchtet deshalb die militärisch starke Tschechoslowakei als potentiellen Feind im Gegnerlager.

    209
    Interview von 14. Juli 1938 in NEWS CHRONICLE
    Ganz ähnlich, wenn auch in die andere Himmelsrichtung, argumentiert Hitler in einem Gespräch am 21. Mai 1938, als er Generaloberst Keitel den Auftrag gibt, die Möglichkeiten eines Krieges gegen die Tschechoslowakei zu untersuchen. Er spricht dabei von der „unhaltbaren Lage, ... wenn es einmal zu einer Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus kommt", und bezeichnet die Tschechoslowakei in diesem Zusammenhang als „Sprungbrett für die Rote Armee und Landeplatz für deren Luftwaffe" 210
    . Ob sich Hitlers Befürchtungen nun auf Großbritannien und Frankreich im Westen oder auf die Sowjetunion im Osten beziehen, für ihn ist die Tschechoslowakei mit ihren 45 Heeresdivisionen und einer respektablen Luftwaffe stets ein potentieller Gegner nur 40 Flugminuten von Berlin. So wird die Tschechei der erste Verlierer eines großen Krieges, der noch gar nicht ausgebrochen ist.

    Ein fünfter Punkt soll nicht vergessen werden. Er hat Hitler zwar nicht zur Annexion der Rest-Tschechei bewogen, doch ihm den Entschluß dazu erleichtert. Das ist seine falsche Einschätzung der Briten und Franzosen. Die Ribbentropsche Interpretation der Pariser Gespräche vom 6. und 7. Dezember 1938 und der Irrtum, die Franzosen hätten Deutschland „freie Hand in Osteuropa" zugesagt, wenn das seinerseits die Italiener in ihren territorialen Forderungen bremse, entheben Hitler offensichtlich aller Vorsicht. Dazu kommen eine Reihe deutsch-britischer Botschaftergespräche, in denen die deutsche Seite den Eindruck aufnimmt, die englische Regierung würde „ein deutsches Interesse am tschechischen Raum" anerkennen 211
    .

    Der Politiker Hitler nutzt mit der Überrumpelung des Dr. Hacha und seines Restgebiets taktisch und kurzfristig die Gelegenheit, die sich ihm mit dem Zerfall der Tschechoslowakei fast wie von selber bietet. Doch mit diesem wohlfeilen Erfolg verpaßt er zugleich die andere, die strategische und langfristige Möglichkeit, die ihm die Notlage der Tschechen und das Entgegenkommen Hachas wahrscheinlich auch geboten hätte. Hitler hätte mit großer Sicherheit in jener Nacht vom 14. auf den 15. März 1939 eine „ideelle Annexion" mit Friedens- und Freundschaftsvertrag haben können, mit Wirtschafts- und Zollunion, mit Abrüstung der tschechischen Armee und dem Versprechen, die Außenpolitik der Tschechei in Zukunft mit der des Deutschen Reiches abzustimmen. Doch Hitler verpaßt die Chance, die ihm hier gegeben war.

    Der „Führer" begeht in einem ein Verbrechen am Selbstbestimmungsrecht der Tschechen und bricht dabei sein so oft gegebenes Wort, die Tschechei nicht anzurühren. Mit diesem Wortbruch verspielt Hitler den Kredit, den er bis dahin noch in Frankreich, England und den USA genießt. Was für Deutschland ungleich schlimmer ist, Hitlers Böhmen- und Mähren-Unterwerfung läßt bei den Regierungen der drei genannten Länder die Absicht reifen, mit Deutschland bei nächstpassender Gelegenheit einen weiteren Krieg zu führen. Die Annexion der

    210
    Keitel, Seite 222
    211
    AA 1939 Nr. 2, Dokument 258

    Rest-Tschechei ist hierzu der Anlaß, die Danzig-Frage gibt den Briten und Franzosen dann die nötige Gelegenheit.

    Die Reaktionen des Auslands auf den Einmarsch von Wehrmachtskräften in die Rest-Tschechei sind für das Deutsche Reich fatal. England läßt zwar erst die Tschechen fallen, doch dann braust es in Entrüstung gegen Deutschland auf. Am
    15. März, dem Tag des Zusammenbruchs der Tschechoslowakei, dem Tag, an dem Dr. Hacha Hitler aufsucht, zieht die englische Regierung zunächst ihr Münchener Schutzversprechen von der Tschechoslowakei zurück. Premier Chamberlain verkündet an diesem Nachmittag vor dem Unterhaus in London: „ Unserer Ansicht nach hat sich die Lage von Grund auf geändert seit der Slowakische Landtag die Unabhängigkeit der Slowakei erklärt hat. Diese Erklärung hatte die Wirkung, daß der Staat, dessen Grenzen wir zu garan tieren beabsichtigten, von innen her zerbrach und so sein Ende fand. Dem gemäß hat die Sachlage.... die wir schon immer als nur vorübergehend ansahen, aufgehört zu bestehen. Seiner Majestät Regierung kann sich in 212 folgedessen nicht mehr länger an diese Verpflichtung gebunden fühlen."
    Damit baut sich die englische Regierung eine Argumentation zu eigenem

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