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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Nutzen auf, die sie für Deutschland so nicht gelten lassen will. Als sich die deutsche Reichsregierung ebenfalls darauf beruft, daß es die auf der Münchener Konferenz mit neuen Grenzen versehene Tschechoslowakei seit dem 14. März 1939 nicht mehr gibt, und daß der Einmarsch deutscher Truppen in die Rest-Tschechei folglich kein Verstoß gegen den Geist oder die Buchstaben des Münchener Vertrages sein kann, sieht das die englische Regierung plötzlich anders 213
    . Sie wirft der Reichsregierung fortan den Bruch des Münchener Abkommens vor.

    Am Morgen nach der Chamberlain-Erklärung, die das Schutzversprechen aufhebt, erfährt man in London vom Hitler-Hacha-Protektoratsvertrag und vom deutschen Einmarsch in die Rest-Tschechei. Die Empörung über beides ist in Parlament und Presse so gewaltig, daß Premier Chamberlain sofort wieder Partei für die Tschechei ergreift. Am Tag danach, am 17. März, hält er in Birmingham eine zweite Rede, mit der er seiner bisherigen Verständigungspolitik mit dem Deutschen Reich ein Ende setzt. Um seine Politik von gestern noch einmal ins rechte Licht zu rücken, beginnt er seine neue Rede mit einer Beschreibung der alten Tschechoslowakei vor der Abtretung der Sudetenlande. Er bezeichnet sie als
    „ein Problem, das seit dem Vertrag von Versailles bestanden hat, und das
    schon längst hätte gelöst werden können, wenn bloß die Staatsmänner der
    letzten 20 Jahre eine umfassendere und aufgeklärtere Auffassung von ihrer
    Pflicht gehabt hätten. Es war wie eine lange vernachlässigte Krankheit ge-

    212
    Benoist-Méchin, Band 7, Seite 82 213
    AA 1939 Nr. 2, Seite VIII
    worden. Da half nur noch ein chirurgischer Eingriff, um den Patienten zu 214
    retten".
    Nach diesem Rückblick wechselt Chamberlain das Thema zu dem „stolzen und tapferen Volk der Tschechen", ohne daran zu erinnern, daß es genau die „stolzen und tapferen" Tschechen gewesen sind, die das soeben noch beklagte „vernachlässigte Übel" angerichtet haben. Chamberlain rügt zu Recht, daß Hitler, der vor kurzem noch beteuert hat, „er wolle keine Tschechen", diese nun dem Deutschen Reiche angegliedert hat. Dann schlägt der englische Premier – rhetorisch meisterhaft – eine Gedankenbrücke vom deutschen Vorgehen im Rheinland 1936, in Österreich und in den Sudetengebieten 1938 über die Tschechei 1939 zu einer Ungewissen Zukunft, zu der er fragt, ob Deutschland dann versuche, den Globus zu beherrschen. Mit dieser Wendung seiner Rede wirft Chamberlain der bisher akzeptierten Politik des „heim ins Reich" vor, offensichtlich nur der lange Anlauf zur deutschen Weltherrschaft zu sein. Von nun an, das sei hier eingeschoben, bedienen sich Politik und Propaganda aller Länder, die später Gegner Deutschlands werden, wieder dieser einprägsamen Formel, die man schon im Ersten Krieg verwendet hatte. Das Gespenst von der deutschen Weltherrschaft beginnt umherzugeistern, noch ehe Hitler dem Gedanken nähertritt, mit dem Nachbarn Polen wegen Danzig Krieg zu führen.

    Zurück zur Rede Chamberlains in Birmingham. Der englische Premier wirft Hitler mit Fug und Recht vor, in der Tschechei das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu verletzen, auf das Hitler sich bisher stets selbst berufen hatte. Chamberlain schließt seine Rede mit der Warnung, die Friedenssehnsucht Englands mit einer Kraftlosigkeit der Briten zu verwechseln. Großbritannien, so sagt er, sei bereit, einen Krieg „als Herausforderung bis zur Erschöpfung seiner Kraft anzunehmen" 215
    .

    Mit der Tschechei-Besetzung vom 15. März 1939 und der Chamberlain-Rede vom 17. sind England und das Deutsche Reich erneut auf Kollisionskurs. Chamberlain hat objektiv zwar Recht mit seinen Vorwürfen vom Vertrauensbruch und von der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Tschechen. Doch dabei die Friedenssehnsucht Englands zu erwähnen, ist pure Heuchelei. Das Protektorat der Briten über den seit 1922 souveränen Staat Ägypten und Sudan zum Beispiel ist nichts anderes als das deutsche über die Tschechei. 1924 bittet die ägyptische Regierung die englische vergeblich, ihre Truppen abzuziehen. 1925 erzwingt England die Trennung der zwei Staatsteile Ägypten und Sudan. 1926 blockieren die Briten die Wiederwahl von Ägyptens Regierungschef Saghlul Pascha und 1928 setzen sie erneut den Regierungschef – diesmal Nahās Pascha – von seinem Amt ab. 1936 endlich drückt England Ägypten wegen angeblicher Bedrohung durch Italien ein Protektorat auf, mit Truppenstationierung,

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