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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

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Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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    . Deutsch ist ihre zweite inzwischen angestammte Sprache.

    1919 in Versailles beanspruchen die zwei Staaten Polen und Litauen das Memelland für sich. Beide sehen im Zusammenbruch des besiegten Deutschen Reichs die Chance, ihre neu formierten Länder zu Lasten Deutschlands „aufzurunden". Die Polen wollen ganz Litauen samt Memelland für sich, die Litauer das Memelland mit der Stadt Memel als Tor zur nahen Ostsee. Die litauische Begründung, die in Versailles vorliegt, besagt, daß das Memelland vor 600 Jahren Teil des Großlitauischen Reichs gewesen sei. Daran stimmt, daß das Memelland einmal als integraler Teil Ostpreußens unter dem Lehen der Polnisch-Litauischen Doppelmonarchie gestanden hat. Doch mit der gleichen Qualität von Argument könnte Deutschland heute die Herrschaft über Ungarn fordern.

    Die alliierten Siegermächte erfüllen weder Polens noch Litauens Ansprüche auf das Memelland. Sie weisen die These der litauischen Regierung, das Memelgebiet sei früher litauisch gewesen, in der Mantelnote zum Versailler Vertrag vom 19. Juni 1919 schriftlich ab. Auch die deutschen Versuche, das Memelland zu halten, werden von den Siegermächten abgewehrt. Drei Vorstöße der Deutschen Reichsregierung und der memelländischen Volksvertretung im Mai, im August und im September 1919 werden mit der Begründung abgelehnt, das Memelgebiet sei nach Versailler Vertrag nicht mehr Teil des Deutschen Reichs, und es könne deshalb mit Deutschland in dieser Sache nicht verhandelt werden.

    Ab 1920 nehmen die Versailler Siegermächte das Memelland in einem sogenannten Kondominium unter gemeinschaftliche Herrschaft und lassen es von

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    Arnaszus, Seite 54
    Frankreich fremdverwalten. Am 14. Februar 1920 trifft die französische Besatzungstruppe, ein knappes Bataillon, in Memel ein. Trotz dieser Änderungen bleiben die Memelländer deutsche Staatsangehörige. Die deutsche Verwaltung setzt ihre Arbeit ohne Unterbrechung fort, desgleichen die Reichsbank und die Deutsche Reichsbahn. Die Post wird selbständig gemacht. Sie benutzt französische Briefmarken mit Überdruck in deutscher Sprache. Ansonsten wird das Memelland ein eigenes, geschlossenes Zollgebiet. Damit hat dies neue Kunstgebilde für drei kurze Jahre keine eigene Staatsbürgerschaft und keine eigene Währung. Doch es ist ringsum von Zollgrenzen eingeschlossen und führt eine eigene Flagge. Das Memelland wird von Deutschland abgetrennt und keinem anderen Staate zugesprochen 222
    . Diese Abtrennung ist wohl der sinnloseste und lächerlichste Racheakt der Sieger; ein Zustand der förmlich nach Veränderung ruft.

    In Litauen bleibt das Verlangen nach dem Memelland weiter auf der Tagesordnung. So beschließt die litauische verfassunggebende Versammlung am 11. November 1921, das Memelland mit Litauen zu „vereinigen" 223
    . Gut ein Jahr danach, vom 10. bis zum 16. Januar 1923 dringen litauische Bewaffnete ins Memelland ein und vertreiben die Franzosen. Die französische Besatzungstruppe mit etwa 200 Soldaten ist angesichts der 5 bis 6.000 angreifenden Litauer auch nicht bereit, sich für ein Stück fremdes Land zu opfern. Die Ständige Botschafterkonferenz der Siegermächte legt Protest ein, und die litauische Regierung beeilt sich, ihr mitzuteilen, daß es sich bei dem Geschehen um einen „Verzweiflungsakt der memelländischen Bevölkerung" handelt. Die Regierung in Kaunas weigert sich jedoch, das Memelland herauszugeben, und die Botschafterkonferenz in Paris beugt sich nach kurzem Sträuben der Gewalt. Sie verlangt zunächst, eine Volksabstimmung über die Zukunft des Memellandes durchzuführen, doch als die Konferenz am 16. Februar beschließt, die Souveränität über das Memelland an Litauen zu übertragen, ist auch das vom Tisch. Damit ist der Versailler Vertrag ein weiteres Mal gebrochen.

    Nachdem Litauen dem Völkerbund sein Memelland-Mandatsgebiet mit militärischer Gewalt genommen und die verlangte Volksabstimmung mit Erfolg verhindert hat, schließt die Alliierte Botschafterkonferenz den Vorfall ab, indem sie nachgibt. Doch sie verlangt von Litauen, die Gebietsübertragung vertraglich in einer Konvention zu regeln. Mit jener sogenannten Memelkonvention wird außer dieser Übertragung vor allem eine weitgehende Autonomie der Memelländer in ihrem neuen Staate festgeschrieben. Zur „Memelkonvention" gehört als Anhang das „Memelstatut", die Verfassung für das übertragene Gebiet.

    Am 8. Mai 1924 wird die Memelkonvention im Namen des Völkerbunds von

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