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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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zu einer Rückkehr der Memelländer ins Deutsche Reich führe. Dymša antwortet:

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    ADAP, Seite D, Band IV, Dokument 81 229
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    „Die glücklichste Lösung sei nach seiner Meinung die sofortige Aufnahme von deutsch-litauischen Verhandlungen. Diese Verhandlungen würden deutscherseits also von der automatischen Rückkehr des Memelgebiets nach Deutschland ausgehen. Von litauischer Seite wäre der Ausgangspunkt das Angebot der vollen Autonomie. Das Ergebnis könne als Kompromiß
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    ein Con-Dominium Deutschlands und Litauens über Memel sein".

    Die litauische Diplomatie zeigt damit Bereitschaft zum Entgegenkommen. Die deutsche legt noch keine Karten offen. Sie trifft zunächst in aller Stille Vorbereitungen. Reichsaußenminister von Ribbentrop erwägt die Einladung seines litauischen Kollegen und läßt zwei Verträge ausarbeiten. Entwurf eins ist ein deutschlitauischer Vertrag, der die Rückkehr des Memellands zu Deutschland vorsieht und als Gegenleistung einen litauischen Freihafen und Wirtschaftsprivilegien in Memel. Entwurf zwei verlangt nur die volle Autonomie für das Memelland. Ansonsten informiert der Außenminister sein Haus, daß eine gewaltsame Rückeroberung des Memelgebietes nicht in der Absicht Hitlers liegt. In den Akten des Auswärtigen Amtes aus diesen Tagen steht wiederholt die Anmerkung des Staatssekretärs von Weizsäcker
    „ Wir lassen die Litauer über unsere Absichten zu Memel im Ungewis
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    sen".
    Deutschland und das Ausland warten zu der Zeit mit Spannung auf die nächsten Memeler Landtagswahlen. Am 11. Dezember 1938 gehen 96% der wahlberechtigten Memelländer unter den Augen amerikanischer, polnischer, französischer, italienischer und englischer Wahlbeobachter und Journalisten zu den Urnen. Trotz der 48% litauischer Muttersprachler bekommt die deutsche Liste über 87% der abgegebenen Stimmen. Das Ergebnis wirkt wie ein Votum der Bevölkerung für den Anschluß an das Deutsche Reich. England und Frankreich reagieren alarmiert auf dies Ergebnis. Am Tage nach der Wahl schon teilen die Regierungen beider Mächte dem Auswärtigen Amt in Berlin mit,
    „daß sie als Signatarmächte der Memelkonvention darauf vertrauen, daß
    die Deutsche Regierung ihren Einfluß auf die Memelländer im Sinne der
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    Aufrechterhaltung des Status quo geltend macht".

    Damit verlangen Briten und Franzosen den Verbleib des Memellands bei Litauen und dies trotz des offenbar entgegengesetzten Willens der betroffenen Bevölkerung. Zum Zeitpunkt der Memeler Landtagswahl hat Hitler seinen ersten Sündenfall, den Einmarsch in die Rest-Tschechei noch nicht begangen. So sind die Reaktionen aus Paris und London noch nicht als Reflex auf Hitlers spätere Aggressionen zu erklären. England und Frankreich sind also auch nach ihrem Debakel auf der Konferenz von München und dem Anschluß der Sudetengebiete an

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    das Deutsche Reich noch immer nicht bereit, ihre Fehler von Versailles selber zu bereinigen. Sie überlassen es den Deutschen.

    Die Reaktionen aus Berlin und Kaunas auf die Landtagswahlen sind so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm. Der „Stellvertreter des Führers" Rudolf Heß erläßt am
    2. Februar 1939 an die deutschen Dienststellen im Memelgebiet und im Deutschen Reich eine streng geheime Weisung, „daß jedes Hinarbeiten deutscher Parteistellen nach dem Memelgebiet zu unterbleiben habe, daß vor der Hand jeder Konflikt mit der litauischen Regierung zu vermeiden sei und daß die memeldeutsche Führung für die
    233 Durchführung dieser Weisung verantwortlich gemacht werde".
    Die deutsche Reichsregierung übt sich also in Zurückhaltung. Die litauische Regierung läßt die Entwicklung im Memelland zunächst frei laufen, ehe sie im Februar wieder auf die Bremse tritt. Die Zweisprachigkeit wird nun auch bei den litauischen Behörden im Memelland zur Pflicht. Die Unterrichtssprache richtet sich fortan nach den Elternwünschen. Die litauische Staatssicherheitspolizei muß das Gebiet verlassen, auch wenn sie weiter als Bahn- und Grenzpolizei verkleidet die deutschen Memelländer überwacht. In den Schulen werden die litauischen Staatswappen entfernt und mit ihnen auch die Bilder von Staatspräsident Smetona. Doch trotz all dieser Konzessionen drängt die Stimmung der Bevölkerung immer heftiger auf den Anschluß an das deutsche Mutterland. Im litauisch orientierten Teil der memelländischen Bevölkerung kommt es bald zu Gegenreaktionen.

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