Der Krieg, der viele Vaeter gatte
Jahrhundertwende 1900 weltweit noch immer voll im Gange. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika zum Beispiel nehmen sich 1898 die Philippinen und die Insel Puerto Rico als US-Kolonien. Großbritannien annektiert 1900 die Diamantenminen von Kimberley in Südafrika, Spanien im gleichen Jahr in Südkamerun die Provinz Rio Muni. 1902 erobert England die Burenstaaten Oranje und Transvaal mit ihren reichen Goldvorkommen. Japan nimmt sich 1905 Korea. 1907 erklären Rußland Nordpersien und England Südpersien zu ihren Einflußzonen und 1912 macht Italien Libyen zur Kolonie und Spanien zwei Küstenstreifen in Marokko. Bei dieser Jagd nach Überseegebieten kommt Frankreich in Marokko in Konflikt mit Deutschland. 1880 waren im Vertrag von Madrid dem Sultan von Marokko die Souveränität in Tanger und Deutschland freie Handelsrechte im ganzen Lande zugesichert worden 36 . Als Frankreich den Versuch macht, sich auch das Gebiet von Tanger anzueignen, wollen der deutsche Kaiser und die Reichsregierung den französischen Vertragsbruch und den eigenen Nachteil so nicht schlucken. Kaiser Wilhelm II. begibt sich deshalb persönlich nach Tanger und protestiert dort in Absprache mit der Reichsregierung gegen das französische Bemühen, ganz Marokko inklusive Tanger „friedlich zu durchdringen", wie das die Franzosen nennen. Das Ergebnis dieser Intervention in der sogenannten Ersten Marokko-Krise von 1904 bis 1905 ist ein deutsch-französischer Vertrag, in dem sowohl das „besondere politische Interesse" Frankreichs an Marokko anerkannt als auch Deutschland eine Beteiligung an der wirtschaftlichen Erschließung des Landes zugestanden wird. Doch dieser Kompromiß ist nicht einmal ein halber Sieg. Dafür ist der Preis zu hoch. Deutschland rutscht mit dem Marokko-Streit, in dem es Frankreichs Kreise stört, in eine internationale Isolation, die sich bis zum Ersten Weltkrieg nicht mehr löst. Deutschland besteht zwar mit Recht auf dem noch gültigen Vertrag von Madrid, aber England und Italien
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Grenfell, Seite 84
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Löwenstein, Seite 470
stehen hinter Frankreichs Marokko-Ambitionen, weil sie sich im Gegenzug dafür vorher freie Hand für eigene koloniale Pläne eingehandelt haben. So bleibt der Kompromiß um Tanger und Marokko eher ein Sieg für Frankreich.
1911 in der schon beschriebenen Zweiten Marokko-Krise geht der nächste Punkt an Frankreich. Die französische Regierung läßt Marokko unter dem Vorwand, dort bei inneren Unruhen für Ordnung sorgen zu müssen, von eigenen Truppen besetzen. Paris erklärt Marokko zum französischen Protektorat, was nichts anderes bedeutet, als daß nun auch Marokko zu Frankreichs Kolonien zählt. Was folgt, ist in der Schilderung des deutsch-britischen Verhältnisses zum Teil bereits erwähnt. Das deutsche Kanonenboot Panther läuft Agadir an. Deutschland verlangt von Frankreich Kompensation im Kongo und erhält für den Verlust des deutschen Handels in Marokko ein Stück Französisch-Kongo, das Deutsch-Kamerun als Grenzland zugeschlagen wird. Ein bedeutungsloser Landgewinn drei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Von erheblicher Bedeutung ist dagegen der Ärger der Franzosen über Deutschlands neue Konkurrenz in Afrika.
So schieben sich in Frankreich viele Gründe aufeinander, bei Gelegenheit mit Deutschland abzurechnen. Es ist der Wille, Elsaß und Lothringen wiederzugewinnen. Es ist der Ärger über den kolonialen Mitbewerber Deutschland, und es ist die Sorge, daß der deutsche Nachbar als Land- und neue Seemacht weiter stärker werden könnte. In Deutschland ist man sich zwar des tiefen Grolls bewußt, den die Franzosen wegen des Verlusts von Elsaß und Lothringen hegen, aber ein Gefühl von Unrecht haben die Deutschen deshalb nicht. Landabtretungen nach verlorenen Kriegen sind damals – wie auch noch heute – üblich. Und die eroberte Bevölkerung ist nach der Muttersprache überwiegend deutsch. Vor dem Ersten Weltkrieg bedienen sich im Elsaß und in Lothringen immerhin 1,3 Millionen Bürger ihrer deutschen Muttersprache und nicht ganz 200tausend sprechen französisch. Aus deutscher Sicht werden die Landesteile Elsaß und Lothringen deshalb auch nicht als Anlaß für den Krieg begriffen. Der liegt für jedermann erkennbar 1914 auf dem Balkan. Die furchtbare Rache, die die Franzosen nach dem Kriege an den Deutschen nehmen, stößt deshalb in Deutschland auch auf kein Verständnis. Hitler wird vom Unmaß dieser Rache profitieren.
Rußlands Verhältnis zu Deutschland
Zur
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