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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Vorgeschichte des Desasters von Versailles und Saint-Germain gehört auch das Verhältnis der drei Kaiserreiche Rußland – Habsburg – Deutschland zueinander. Obwohl Rußland und Deutschland im Grunde Nachbarn ohne gegenseitige territoriale Ansprüche sind und obwohl sie nirgends in den Kolonien konkurrieren, bewegen sie sich doch ab 1890 auseinander. Das hat im wesentlichen vier Gründe. Der erste betrifft das deutsch-russische Verhältnis in direkter Weise. Berlin versäumt es, einen 1890 auslaufenden Rückversicherungsvertrag mit St. Petersburg zu erneuern. Die anderen drei Gründe sind indirekter Art. Gegner Deutschlands suchen Rußlands Unterstützung oder Deutschland stützt die Gegner Rußlands. So wirbt – das ist der zweite Grund – Frankreich weiter mit Erfolg um Rußland als Macht in Deutschlands Rücken. Zum dritten hält Deutschland zu Österreich-Ungarn, dem Rivalen Rußlands auf dem Balkan. Und viertens führt Rußlands Bündnisstrategie zur Wahrung eigener Interessen in Fernost, in Persien – Afghanistan, auf dem Balkan und an den Dardanellen dies große Land bis zum Ersten Weltkrieg mit einer Reihe von Verträgen in das Lager der Gegner Habsburgs und des Deutschen Reichs.

    Der lange Anlauf zum russisch-deutschen Kriegsausbruch von 1914 beginnt viele Jahre vorher auf dem Balkan. Seit 1875 zerfällt Stück um Stück der Vielvölkerstaat der türkischen Osmanen. Da den neuen Staaten, die sich auf dem Balkan aus dem Nachlaß des Osmanenreiches bilden, klare Volkstumsgrenzen fehlen, wird dieses Gebiet für 40 Jahre zum Krisenherd Europas. Rumänien, Bulgarien, Serbien, Montenegro und Mazedonien führen viele Kriege um Grenzen und Gebiete. Der Streit der Balkanstaaten strahlt immer auf die Nachbarn aus, die hier um ihre eigenen Einflußzonen kämpfen. So sind in aller Regel Rußland, Österreich-Ungarn, die Türkei, Italien und Griechenland beteiligt. Frankreich, Großbritannien und Deutschland werden als Vermittler und Parteiergreifende indirekt hineingezogen. Dabei steht Deutschland zwar generell auf Österreichs Seite, aber in den Balkankrisen von 1909,1912 und 1913 tritt die Reichsregierung dennoch als Vermittler auf. 1909 und 1913 hält Deutschland Habsburg zweimal von Kriegen auf dem Balkan ab. Mit ihrer generellen Unterstützung Österreichs in allen Balkankrisen verprellt die Reichsregierung dennoch Russen und Franzosen. So bezahlt Deutschland seinen Einsatz für den Frieden letztlich mit Rußlands Feindschaft und mit zunehmender Isolation unter den großen Staaten in Europa.

    Rußlands Weg in den Ersten Weltkrieg ist auch innenpolitisch vorgezeichnet. Die krassen sozialen Ungerechtigkeiten im noch feudalen Zarenstaat und die Separationsbestrebungen der nicht russischen Nationen sorgen für einen Sprengstoff, der droht, das Zarenreich von innen zu zerlegen. Es gibt drei Gruppen, die sich von einem neuen Krieg die Lösung der russischen Probleme in ihrem Sinn erhoffen. Die nicht russischen Nationalbewegungen sehen im Krieg die Chance für eine Niederlage Rußlands und damit für die Freiheit ihrer Völker. Der Hochadel des Landes glaubt umgekehrt, ein neuer Krieg könnte sein von innen her bedrohtes Reich noch einmal für eine Zeit zusammenschweißen. Und dann sind da noch die Revolutionäre des Klassenkampfs, die den Krieg zum Aufstand gegen Großbürgertum und Adel nutzen wollen. So gibt es in allen Schichten und Völkern Rußlands starke Kräfte, die einen Krieg begrüßen würden. 1914 im Streit zwischen Österreich-Ungarn und Serbien um die Reaktionen auf den Mord von Sarajewo ist es die sogenannte Großfürstengruppe, die auf einen Krieg gegen Habsburg und das Deutsche Reich drängt. In der russischen Armee ist der Krieg mit Deutschland längst ein Thema, als noch niemand etwas vom Attentat in Sarajewo ahnen kann. So schreibt die verbreitetste Militärzeitschrift in Rußland RASWJEDSCHIK schon im Januar 1914:
    „ Uns allen ist sehr wohl bekannt, daß wir uns auf einen Krieg an der West
    front, vornehmlich gegen die Deutschen, vorbereiten. Deshalb müssen wir
    allen unseren Truppenübungen die Annahme zugrunde legen, daß wir ge
    gen die Deutschen Krieg führen. Zum Beispiel muß immer die eine
    Manöverpartei die „ deutsche " heißen. Nicht nur die Truppe, das ganze
    russische Volk muß an den Gedanken gewöhnt werden, daß wir uns zum
    Vernichtungskampf gegen die Deutschen rüsten und daß die deutschen
    Staaten zerschlagen werden müssen, auch wenn wir dabei Hunderttausen
    de von

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