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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Danziger Bürger sind Marschall Piłsudski Rechtfertigung genug, Deutschland zu „bestrafen" und – das ist zu unterstellen – daraus weitere Territorialgewinne zu erzielen.

    Der erste Versuch, die französische Regierung zu einem solchen Angriffskrieg gegen Deutschland zu bewegen, findet im Februar oder März 1933 statt. Piłsudski läßt bei den Franzosen in aller Diskretion sondieren, ob Frankreich zu einem Krieg bereit sei, um Deutschland zur Einhaltung der Versailler Bestimmungen zu zwingen. Frankreich fühlt sich an das Angriffsverbot aus dem Kellogg-Pakt gebunden und geht auf das Angebot nicht ein. Der polnische Versuch wird später von Warschau aus bestritten, doch er bleibt nicht unbemerkt. Am 17. Februar verplappert sich der polnische Gesandte in Berlin Wysocki, als er mit dem „Abteilungsleiter Osteuropa" des Auswärtigen Amtes Meyer die Nachbesetzungen für den deutschen Militärattache in Warschau und den polnischen Generalkonsul in Königsberg besprechen muß. Er fragt,
    „ ob es denn überhaupt noch Zweck habe, diese Posten zu besetzen, da wir
    ja doch am Vorabend eines Krieges zwischen Deutschland und Polen
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    ständen".
    Nach dem Kriege hat auch die Historische Kommission des Polnischen Generalstabs die polnischen Sondierungsversuche in Paris erwähnt. 77

    Die zweite polnische Sondierung in Paris in Richtung Präventivkrieg findet Mitte April 1933 statt. Polen wird gerade von antideutschen Unruhen heimgesucht. In der genannten Zeit läßt der Marschall Truppen aufmarschieren. Kavallerie wird in Pomerellen, vor Danzig und an der Grenze zu Ostpreußen konzentriert. Elitetruppen werden von Polens Ostgrenze abgezogen und ebenfalls dorthin verlegt. In der zweiten Aprilhälfte wird Hitler erstmals von Botschafter von Moltke aus Warschau über die Versuche der polnischen Regierung informiert, Frankreich zu

    ADAP, Serie C, Band I, Dokument 22 Polnischer Generalstab, 1951, Band I, Teil 1
    einem Präventivkrieg gegen Deutschland zu bewegen. Nachdem Frankreich auch nach der zweiten Sondierung Piłsudskis keine Neigung zeigt, sich ohne rechten Grund auf einen gemeinsamen Krieg an der Seite Polens gegen Deutschland einzulassen, sucht der polnische Staatschef einen anderen Weg, das zunehmende Gewicht des Nachbarn Deutschland auszugleichen. Am 15. November 1933 läßt er den polnischen Botschafter in Berlin, Lipski, bei der deutschen Reichsregierung anfragen, ob es einen Weg gäbe, Polen nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund eine Rückversicherung gegen Deutschland zu verschaffen. Hitler bietet Piłsudski einen Freundschafts- und Nichtangriffsvertrag an. Am 24. November legt der deutsche Botschafter von Moltke den Vertragsentwurf dazu im polnischen Außenministerium vor. Dann herrscht für sechs Wochen Funkstille zwischen Warschau und Berlin. Piłsudski versucht in dieser Zeit ein drittes Mal, Paris zu animieren, einer zukünftigen Wiederaufrüstung Deutschlands durch einen Präventivkrieg zuvorzukommen. Als Frankreich ihm erneut die kalte Schulter zeigt, entschließt sich der polnische Staatschef, seine Außenpolitik zu ändern. Am 9. Januar 1934 wird der deutsch-polnische Freundschafts- und Nichtangriffspakt geschlossen. Damit kehrt erst einmal Ruhe für vier Jahre ein.

    Die polnischen Erwägungen, das Deutsche Reich zu überfallen und die drei Sondierungen bei der französischen Regierung wären ohne den russisch-polnischen Vertrag wohl kaum zustande gekommen. Mit dem eigenen Aufgebot an Truppen und einem gleichzeitigen Angriff Frankreichs gegen Westdeutschland hätte die polnische Armee noch 1933 Ostpreußen und Danzig ohne weiteres Risiko erobern können.

    Die Westerplatten-Affäre von 1933 und die bekanntgewordenen polnischen Kriegssondierungen in Paris zeigen beim neu ins Amt gekommenen Hitler Wirkung in zwei Richtungen. Zum einen sucht er nun Annäherung an Polen, dem Deutschland 1933 in einem Kriege nicht gewachsen wäre. Zum anderen prägt sich bei Hitler ein, daß Polen zur Gefahr in Deutschlands Rücken wird, sobald es Auseinandersetzungen mit Frankreich gibt. Und er registriert, daß Polen den Kellogg-Pakt, der Kriege zur Lösung internationaler Streitigkeiten ausschließt, mißachtet, wenn das von eigenem Vorteil ist. Als Hitler im Mai und im August 1939 die zweite und die dritte seiner berühmt gewordenen „Schlüsselreden" vor der Wehrmachtführung hält, drückt er genau das aus, was er sechs Jahre vorher – frisch ins Amt gekommen – hat erleben müssen. Polen und die

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