Der Krieg, der viele Vaeter gatte
nationalen (gemeint: französischen) Gebiet zurückzu
werfen; dann uns an seine Widerstandsstellung (gemeint: die
deutsche) heranzuarbeiten. ...
b. In einer zweiten Phase, ..., würde es sich darum handeln, diejenigen
Abschnitte der deutschen Stellung zu erkunden, auf die man dann alle
Anstrengungen konzentrieren kann, indem man unsere vorhandenen
Mittel einsetzt."
Gamelin legt damit offen, daß er schon im Mai 1939 nicht vorgesehen hatte, Polen in einem Krieg mit Deutschland mit einem Angriff starker Kräfte zu entlasten. Sein dahingehendes Versprechen gegenüber dem polnischen Kriegsminister Kasprzycki ist also nur der Köder für die Polen, den Krieg um Danzig zu riskieren.
Am 23. August 1939, dem Tag des Abschlusses des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakts, macht das französische Kabinett einen Kassensturz, um zu ermitteln, ob man auch ohne Rußlands Hilfe die Bündnispflicht gegenüber Polen erfüllen kann. Das Sitzungsprotokoll offenbart die Gedanken des französischen Generalstabschefs General Gamelin eine Woche vor dem „Bündnisfall" mit Polen. 182
Der französische Oberbefehlshaber muß zu der Zeit wissen, daß das deutsche Heer über insgesamt 106 aktive und Reservedivisionen verfügt und Polen über zusammen 52. Er weiß auch, daß die polnische Luftwaffe der deutschen unterlegen ist. Trotzdem trägt Gamelin den versammelten Ministern diese Rechnung vor:
„Frankreich kann 200 deutschen Divisionen etwa 120 eigene Divisionen
entgegensetzen. Deshalb muß es sich die Unterstützung durch die 80 pol
nischen Divisionen erhalten. ... Die polnische Armee wird der deutschen
ehrenhaft Widerstand leisten. Kälte und schlechtes Wetter werden die
Feindseligkeiten schnell zum Stehen bringen, so daß die Schlacht im Früh
jahr 1940 im Osten noch weitergehen wird. In diesem Augenblick wird die
französische Armee durch zahlreiche britische Divisionen, die auf dem
Festland gelandet werden, verstärkt sein. ...Im Frühjahr 1940 wird Frank
reich daher auf 240 Divisionen rechnen dürfen, die die 120 französischen,
80 polnischen und etwa 40 englischen Divisionen zusammen ergeben. Falls Deutschland außerdem die holländische und belgische Neutralität verletzen sollte, würde es damit zusätzlich noch 30 holländische und bel gische Divisionen auf unsere Seite bringen, womit dann insgesamt 270
183 alliierte gegen 200 deutsche Divisionen stehen würden."
Diese Rechnung Gamelins offenbart drei für Frankreich wenig schmeichelhafte Sachverhalte. Zum ersten gesteht der Minister damit ein, daß die französische
182
Protokoll des Generals Decamps vom 23. August 1939, Bonnet, Seite 266 183
Bonnet, Seiten 265 f
Armee der polnischen erst im Frühjahr 1940 zu Hilfe eilen will und nicht – wie General Kasprzycki im Mai 1939 zugesagt – schon nach 15 Tagen. Zum zweiten legt Gamelin hier offen, daß es ihm bei der Mai-Vereinbarung darum gegangen ist, 80 polnische Divisionen für einen zukünftigen Krieg Frankreichs gegen Deutschland einzuspannen. Zur Zeit des französischen Versprechens, am 19. Mai, hat es noch keine deutsche Drohung gegen Polen und damit für Frankreich keinen legitimen Grund gegeben, gegen Deutschland Krieg zu führen. Zum dritten wird erkennbar, daß Gamelin seine Ministerkollegen in Paris noch vor dem Krieg davon in Kenntnis setzt, daß eine so frühe Entlastungsoffensive zur Hilfe Polens – wie versprochen – gar nicht vorgesehen ist. Es wäre nun die Pflicht von Bonnet, dem Außenminister, gewesen, seinen polnischen Kollegen Beck vor einer allzu harten Haltung gegenüber Deutschlands Danzig-Forderung zu warnen. Statt dessen ist es so gewesen, daß Gamelin die Polen mit dem Versprechen des Zweifrontenkrieges gegen Deutschland siegessicher macht, daß Bonnet sie – obwohl er es besser weiß – in ihrem falschen Glauben schmoren lässt, und daß beide die Polen sehenden Auges in ihr Verderben rennen lassen.
Frankreich bedient sich 1939 der Polen für seine eigenen nationalen Interessen. Paris sieht in einem weiteren Krieg die Chance, Deutschland erneut auf Versailles-Niveau zurückzustutzen und es für die Tschechei-Besetzung zu bestrafen. Die französische Regierung stachelt Polen an, in der Danzig-Frage stur zu bleiben, wohl wissend, daß daraus ein Krieg entsteht. Gamelin stellt in der Kabinettssitzung vom 23. August auch gleich sein Wunsch-Szenario vor. Er erwartet einen europaweiten Krieg mit Frankreich und Polen auf der einen Seite, gefolgt von Großbritannien, Belgien
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