Der Krieg, der viele Vaeter gatte
Konferenztages wechselt im Hradschin die Regierung. Am zweiten Konferenztag um 22.30 Uhr verkündet die neue Regierung der Tschechoslowakei die Allgemeine Mobilmachung und ruft damit 1,3 Millionen Soldaten zu den Waffen. Offensichtlich befolgt sie damit den Rat Minister Mandels und hofft – wie der Franzose Mandel das bei seinem Ratschlag sagte –, daß nun die Kanonen Frankreichs, Großbritanniens und Sowjetrußlands wie von selbst zu schießen beginnen. Chamberlain versucht, Hitler diese Mobilmachung als Defensivmaßnahme
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Der zentrale deutsche Abhördienst ist das sogenannte Forschungsamt im Reichsluftfahrtministerium 128
François-Poncet, Seite 375
zu erklären, doch auch der Naivste muß jetzt merken, daß die Tschechen den französisch-englischen Plan nun nicht mehr akzeptieren.
Hitler sichert Chamberlain zu, daß die Wehrmacht solange nicht marschiert, wie deutsch-englische Verhandlungen laufen. Und er mäßigt seine Forderung nach Übergabe der Sudetengebiete in vier Tagen und verschiebt sie um weitere fünf Tage auf den 1. Oktober 1938.
Benešs „Sowjet-Plan"
Nach der Mobilmachung in der Tschechoslowakei rechnet jedermann mit Krieg. In Frankreich werden noch in gleicher Nacht 600.000 Reservisten einberufen 129
.
Italien zieht 300.000 Soldaten ein und läßt Truppen an der Grenze zu Frankreich
aufmarschieren. Belgien macht mobil. England bringt die Flotte auf Kriegsstär
ke 130
. Die Sowjetunion hatte schon drei Monate zuvor begonnen, 330.000 Reservisten einzuziehen und sechs Armeegruppen in Weißrußland und in der Ukraine in Richtung Westen zu verlegen 131
. Auch Ungarn und Polen hatten bereits vor der Tschechoslowakei mobilgemacht.
Beneš entwickelt inzwischen einen neuen Plan, die Zerteilung der Tschechoslowakei in letzter Stunde abzuwenden. Schon am 19. September hatte er in Moskau fragen lassen, wie sich die Sowjetunion im Falle eines deutschen Angriffs gegen die Tschechoslowakei verhalten werde. Nach einer ersten ausweichenden Antwort aus Moskau und einer weiteren Anfrage aus Prag erhält Beneš das erwünschte Hilfsversprechen. Doch die Sowjets können sich weder mit den Rumänen noch den Polen auf die Erlaubnis zum Durchmarsch ihrer Truppen durch eins der beiden Länder einig werden. König Carol II. von Rumänien kommentiert den Wunsch aus Moskau mit den Worten:
„Ich ziehe es vor, die Deutschen als Feinde im Lande zu haben, als die
Russen als Freunde."
Ähnlich reagiert die polnische Regierung. Am 22. September ersetzt Beneš – wie erwähnt – den antikommunistischen Ministerpräsidenten Hodscha durch den der Sowjetunion genehmen General Sirovy, und er nimmt Kontakt zur polnischen Regierung auf. Er bietet an, das Teschener Gebiet an Polen abzutreten, wofür Warschau den Durchmarsch sowjetischer Truppen gestatten müsse. Die polnische Regierung lehnt das ab, weil sie damit rechnen kann, Teschen bald aus deutscher Hand auch ohne dieses Zugeständnis zu bekommen. Der einzige Erfolg des neuen Beneš-Plans ist eine Warnung der Russen an die Polen, daß sie den Polnisch-Sowjetischen Nichtangriffspakt von 1932 lösen werden, wenn Polen sich an einem Angriff gegen die Tschechoslowakei beteiligt. Die Konsequenzen dieser Drohung wird Warschau 1939 spüren.
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Rassinier, Seite 190
130
Henderson, Seite 158
131
MGFA Mil. Geschichte UdSSR, Band 2, Seite 127
Der neue Beneš-Plan ist also schnell gescheitert, doch er torpediert zunächst einmal die französisch-britischen Bemühungen. Am 24. September, kaum daß General Sirovy als neuer Ministerpräsident im Amte ist, läßt er den ausländischen Diplomaten in Prag die folgende Erklärung übermitteln:
„Nachdem unsere Mobilmachung angelaufen ist, sind weitere Zugeständ
nisse von unserer Seite nicht mehr möglich. Wir haben das gefährliche
Stadium hinter uns gebracht, die militärische Lage ist gut. Wir hatten
gestern einen ersten Angriff der deutschen Luftwaffe erwartet, der die
Zusammenziehung unserer Truppen verhindern sollte. Er hat nicht
stattgefunden. Man muß diese Zurückhaltung in Berlin als ein Zeichen der
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Schwäche auslegen."
So ist der Stand der Prager Dinge, als der englische Botschafter der tschechoslowakischen Regierung die Godesberger Bedingungen Hitlers überreicht. Diesmal folgt die Antwort der Tschechen auf dem Fuß. Am 25. September lehnt Prag die neuen Godesberger Forderungen Hitlers nach einer sofortigen Besetzung der Sudetenlande durch die Wehrmacht als unannehmbar ab 133
. Damit ist
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