Der Krieg der Welten
brach entzwei. Nun ließ ich ihn los und erhob mich. Wir standen keuchend und drohend einander gegenüber. Schließlich pflanzte ich mich zwischen ihn und die Eßwaren auf und teilte ihm meinen festen Entschluß mit, von nun an Zucht zu halten. Ich teilte unsere Nahrungsmittel in der Speisekammer in Rationen ein, die für zehn Tage ausreichen sollten. An diesem Tage erlaubte ich ihm nicht mehr zu essen. Am Nachmittag machte er einen schwachen Versuch, zu den Eßwaren zu gelangen. Ich war eingenickt, aber im Nu war ich wach. Den ganzen Tag und die ganze Nacht saßen wir uns Aug in Auge gegenüber, ich erschöpft, aber entschlossen, er weinend und über seinen großen Hunger klagend. Ich weiß, es war nur eine Nacht und ein Tag, aber mir schien es - und scheint mir noch heute - eine unermeßlich lange Zeit.
Und so endete die Unverträglichkeit unserer Neigungen und Anlagen im offenen Streit. Zwei ewige Tage lang rangen wir flüsternd und erbittert. Es gab Zeiten, in denen ich ihn mit Schlägen und Fußtritten wie toll bearbeitete, und Zeiten, da ich ihm schmeichelte und ihn zu überreden trachtete. Und einmal versuchte ich ihn mit der letzten Flasche Burgunder zu bestechen, denn es war eine Regenwasserpumpe vorhanden, mit der ich mir Wasser verschaffen konnte. Aber da half weder Gewalt noch Güte: er war in der Tat schon von Sinnen. Weder wollte er seine Angriffe auf die Speisevorräte aufgeben, noch hörte er auf, laute Selbstgespräche zu führen. Die allernotwendigsten Vorsichtsmaßregeln, die unsere Gefangenschaft erträglich machten, wollte er nicht beobachten. Allmählich begann ich mir den vollständigen Zusammenbruch seiner Geisteskräfte klarzumachen, zu begreifen, daß mein einziger Gefährte in dieser dumpfen und widerlichen Finsternis ein Wahnsinniger war.
Aus einigen unklaren Erinnerungen schließe ich allerdings, daß auch meine Gedanken zu Zeiten sich verwirrten. Ich hatte seltsame und furchtbare Träume, so oft ich einschlief. Es klingt sonderbar, aber ich möchte glauben, daß die Schwachheit und der Wahnsinn des Kuraten mich warnten, stählten und vernünftig erhielten.
Am achten Tag begann er laut zu sprechen, statt zu flüstern, und was ich auch tat, nichts konnte ihn bewegen, seine Sprache zu mäßigen.
"Es ist gerecht, o Gott!" rief er immer wieder. "Es ist gerecht. Über mich und die Meinen komme Dein Grimm. Wir haben gesündigt, wir sind zu leicht befunden worden. Da war Armut, da war Kummer; die Armen wurden in den Staub getreten, nichts aber störte meinen Frieden. Ich predigte einen hübschen Unsinn -mein Gott, was für einen Unsinn! - als ich hätte aufstehen sollen, und sollte ich dafür auch des Todes sterben, und rufen sollen Tut Buße, Buße! Ihr Bedrücker der Armen und Elenden. - Die Weinpresse des Herrn!"
Dann kehrten seine Gedanken unvermutet wieder zum Essen zurück, das ich ihm vorenthielt. Er bat, flehte, weinte, und endlich drohte er. Er begann seine Stimme zu erheben - ich bat ihn, es nicht zu tun; da sah er, daß er mich da fassen konnte - er drohte, daß er nun schreien und die Marsleute herbeirufen werde. Eine Zeitlang schüchterte mich das ein; aber jedes Zugeständnis hätte die Möglichkeit unseres Entrinnens unausdenkbar verringern müssen. Ich widerstand, obwohl keineswegs sicher, ob er seine Drohung nicht ausführen werde. An diesem Tage wenigstens tat er es nicht. Er sprach mit allmählich erhöhter Stimme während des größten Teils des achten und des neunten Tages. Drohungen und Bitten mischten sich mit einer wahren Sturzflut halbverrückter, aber immer heftigerer Reue, daß sein Gottesdienst nur eitel Wortgepränge gewesen sei. Ich konnte nicht umhin, ihn zu bemitleiden. Dann schlief er ein wenig, und dann begann er wieder mit erneuter Kraft, und zwar so laut, daß ich gezwungen war, ihn zurückzuhalten.
"Schweigen Sie!" flehte ich. Er erhob sich auf seine Knie, denn er hatte bisher im Dunkeln neben dem Waschkessel gesessen.
"Ich habe schon zu lange geschwiegen", sagte er in einem Ton, den man in der Grube hören mußte. "Und jetzt muß ich Zeugnis ablegen. Wehe dieser ungetreuen Stadt! Wehe, wehe! Wehe, wehe! den Bewohnern der Erde, durch die andern Stimmen der Posaune -"
"Hören Sie auf!" sagte ich aufspringend, voll Angst, die Marsleute könnten uns hören. "Um Gottes willen -"
"Nein", schrie der Kurat so laut er konnte. Er stand auf und breitete seine Arme aus. "Sprechen will ich! Das Wort des Herrn ist in mir!"
Mit drei Sätzen hatte er die Tür zur
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