Der Krieg der Zauberer, Band 2: Das Orkland (German Edition)
Sie lautete
Arcamantor
, und diesen Namen hatte er nicht vergessen, denn Piruk hatte ihnen ja erst kürzlich von dem Istari-Schamanen erzählt. Darüber hinaus war ihm im gleichen Atemzug endlich aufgefallen, was mit dem jungen Mann, der sich als Junos ausgab und der ihnen den an diesem Ort gehorteten Schatz geradezu aufzudrängen suchte, nicht stimmte: er hatte keinen Schatten.
„Ihr seid ein Lügner!“, platzte Neimo heraus. „Ich weiß, wer jetzt Ihr seid: Ihr seid Arcamantor, ein gemeiner Zauberer, dessen Schicksal es offenbar ist, diesen verfluchten Schatz zu bewachen, bis Ihr einen anderen Dummen findet, der sich freiwillig dazu entscheidet, Euren Platz einzunehmen! Und das ist doch ganz sicher auch keine gewöhnliche Tinte, die Ihr uns gegeben habt ...“
Kaum hatte der Mucklin diese Worte gesprochen, da verfärbte sich die dunkelblaue Flüssigkeit in dem Fässchen auch schon zu einem dickflüssigen, roten Saft. Vor lauter Schreck schrie Fredi auf und ließ Pergament, Federkiel und das angebliche Tintenfass zu Boden fallen. Das Fläschchen zerbarst mit einem hellen Klirren, woraufhin die dunkelrote Flüssigkeit verspritzte und sich auf den Fliesen zu einer Lache ausbreitete.
„Wie kannst du es wagen, das uralte Blut, das Seti persönlich seinen Kindern gab, zu verschütten, du nichtsnutziger Wurm? Keiner von Euch kommt aus dieser Kammer lebend raus, bis Ihr Eure Verpflichtung unterzeichnet habt und ich endlich frei bin von meinem Fluch!“
Der Mann, der sich Junos genannt hatte, machte eine energische Handbewegung, als deren Folge sich die Tür wie von Geisterhand in Bewegung setzte und krachend ins Schloss fiel. Anschließend richtete er sich zu einer kerzengeraden Haltung auf und schien zu wachsen, sodass er bald größer – erheblich größer – erschien als zuvor. Vor allem aber fiel die Maske der Jugend, die er sich zur Tarnung vors Gesicht gezogen hatte, von ihm ab, denn von einem Moment auf den anderen wirkten seine Wangen eingefallen, seine Brauen zerfurcht und seine Hände knochig. Jetzt wurde das Alter dieses Wesens unverkennbar, jedes einzelne der mindestens zweitausend Jahre, die er auf dem Buckel haben musste. Auch wenn er sich dafür immer noch gut gehalten hatte.
„Was glaubt Ihr, wer Ihr seid, Euch Arcamantor, dem obersten Schamanen Chimeiras, der Königin der Istari, widersetzen zu wollen?“, knurrte er zwischen seine Zähne hindurch, die zu einem wütenden Fauchen gebleckt waren. Im nächsten Augenblick erschien ein kurzer Stab in seiner rechten Hand, der aus einem glänzenden schwarzen Material beschaffen und in der Form eines Schlangenkörpers gehalten war. „Aber wenn Ihr es nicht anders wollt, dann werde ich Euch durch Schmerzen beugen, bis Ihr auf Knien zu mir bettelt, meinem Willen gehorchen zu dürfen!“
Arcamantors Augen waren zu hasserfüllten Schlitzen verzerrt, als er mit seinem Stab in Richtung der Mucklins zielte und den geschuppten, glänzenden Körper einer zischelnden Schlange aus diesem schwirren ließ. Kreischend hüpften die drei kleinen Wesen hinfort, woraufhin die Schlange, deren weit aufgerissenes Maul gierige Fänge entblößte, in den Schatzberg einschlug und anschließend wieder zu dem wurde, was sie eigentlich war: schwarzem Rauch, der sich nach oben ringelte und danach zu einem übelriechenden Dampf zerstob.
„Seit zweitausend Jahren bin ich gefangen in dieser verdammten Goldkammer wie eine Motte im Licht einer Flamme, und nun, da endlich jemand gekommen ist, um meinen Platz einzunehmen, glaubt Ihr, Ihr könntet Euch Eurem Schicksal verweigern?“, erhob der Schamane neuerlich seine Stimme, die nun so dünn und welk wie das Rascheln von uraltem Pergament klang.
Dann schickte er einen weiteren Hagel seiner auf magische Weise geschaffenen Schlangenwesen auf die Mucklins los, und diese rannten und hüpften, schlugen Haken und unternahmen akrobatische Luftsprünge, um den Zaubergeschossenen auszuweichen. Dabei schlugen ihnen die Herzen bis zu den Hälsen, und sie brüllten ihre panische Angst aus vollen Kehlen heraus. Trotz all ihrer Bemühungen wussten sie, dass sie den Angriffen nicht ewig würden ausweichen können, denn irgendwann würden auch die Kräfte des ausdauerndsten Mucklins erlahmen, und sieverfügten über keinerlei Waffen, die sie dem Feind hätten entgegensetzen können.
Schauer von aufgewirbelten Gold- und Silberstücken sowie vom Putz, der aus der Decke brach, regneten auf ihre Köpfe nieder, und Teller und Pokale rollten klappernd
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