Der Krieg der Zauberer, Band 2: Das Orkland (German Edition)
erspähte.
Sechzehntes Kapitel: Der Schwarze Zauberer
Die riesige, mit Gold beschlagene Kutsche der Königin bahnte sich ihren Weg durch die sauberen, überwiegend kerzengerade verlaufenden Straßen von Taliska. Ein Trupp Soldaten mit türkisfarbenen Plattenrüstungen und Pferden, die einen absolut gleichmäßig Trab hielten, stellte die zugehörige Eskorte und flankierte das edle Gefährt. Zwar wäre eine solche Vorsicht wohl kaum unbedingt nötig gewesen, denn schließlich galt die vornehme awidonische Hauptstadt als einer der sichersten Orte, die man sich überhaupt nur denken konnte. Die Gefahr, Opfer eines Überfalls oder ähnlicher krimineller Umtriebe zu werden, war in Arthilien wohl nur noch in Zwergenauen oder in den Siedlungen der Elben als geringer zu bezeichnen. Nichtsdestoweniger gehörte es zur Etikette der Mitglieder des königlichen Standes, immerzu mit einem Teil des eigenen Hofes zu reisen, auch wenn die Fahrt gerade mal von einem Punkt der Stadt zu einem anderen ging. Schließlich würde Tenea, wie sie sehr gut wusste, an diesem Tag noch früh genug zu spüren bekommen, wie wenig Titel und Krone, die ihre Amtsvorgänger ihr vererbt hatten, in diesen Tagen noch zählten. Denn wenn man erst einmal hinter die glitzernden Fassaden von Rang und Insignien blickte, dann musste man sich fragen, wer hier in Wahrheit Macht über wen besaß.
Unter den gelangweilten, müden Blicken des alternden Kutschers fuhr die Droschke einher zwischen all den hohen Mauern der prächtigen Herrenhäuser mit ihren Türmen, Kuppeln und penibel gepflegten Gärten, die die junge Metropole prägten. Dann bog sie schließlich auf den gepflasterten Vorhof der Längsseite eines Gebäudes, das noch viel gewaltiger als alle andere in Taliska war, und hielt unmittelbar vor den massiven Türflügeln der Eingangspforte an. Weder Diener noch Wächter ließ sich herab, den hochgestellten Gast zu empfangen, und Tenea wusste, dass von ihr erwartet wurde, dass sie nun allein an die Pforte trat und wie eine Bittstellerin um Einlass ersucht.
Und ein Bittsteller,
sagte sie sich seufzend
, das bin ich in der Tat. Nur gut, dass Alva das nicht mitansehen muss!
Das Haupthaus der Händlergilde war ein dunkelblau gestrichener, kantiger Klotz aus Granit, der äußerlich rein gar nichts mit der Ästhetik und dem Prunk der übrigen Häuser des zentralen Awidons gemeinsam hatte. Hervorgehoben wurde es neben seiner immensen Ausdehnung vor allem durch den Zinnenkranz, der sein Dach umsäumte und wohl so einigen verborgenen Spähern als Ausguck diente, sowie durch das übergroße Rad aus violett lackiertem Stahl, das an seiner höchsten Stelle prangte und an dessen Speichen fünf Goldmünzen angebracht waren. Das alte, mit geringfügigen Änderungen versehene Symbol Engat Lums hielt auf diese Weise die Fahnen des untergegangenen Reich hoch.
Teneas Haar war noch immer voll, doch hatten sich mittlerweile einige Silbersträhnen in ihr einstmals ebenmäßiges Blond geschlichen. Sie trug es straff nach hinten gekämmt und mit einem Dutt gebändigt, was ihren gestrengen Gesichtsausdruck und ihre etwas steife Gestik nur noch unterstrich. Wäre ihr Leben hingegen anders verlaufen und hätte das Schicksal ihr nicht ein solch unsägliches Maß an Verantwortung aufgebürdet, so wäre aus ihr wahrscheinlich eine höchst unbeschwerte, herzliche und zu jedermann freundliche Frau geworden, so meinten viele.
Nicht so einig hingegen war man sich mit dem Urteil darüber, was ihr mehr zusetzte: die Herrschaft über ein ganzes Reich, die noch zudem in erster Linie nur auf dem Papier bestand, oder die Tatsache, dass sie die allein erziehende Mutter einer ausgesprochen schwierigen und aufsässigen Tochter war. Und dass Alva in diesem Augenblick zum ersten Mal irgendwo in der östlichen Wildnis oder sonst wo weilte und sie seit Wochen keine Nachricht mehr von ihr (genausowenig wie von ihrem Aufpasser Graf Monsegur Pandialo) erhalten hatte, machte es ihrem stressbedingt viel zu hohen Blutzuckerspiegel nicht gerade einfacher.
Die Beschaffenheit des Eingangsportals war typisch für die Arroganz der Gilde: feine, verflochtene Runen, die angeblich Elben persönlich dort eingraviert hatten, fanden sich auf dem einen Türflügel, und die viel protzigere, wenn auch nicht weniger kunstfertige Darstellung einer Herde Einhörner, die Zwergen zugeschrieben wurde, auf der anderen. Die Händler ließen keine Gelegenheit aus, um den Leuten zu demonstrieren, bis wohin ihre Kontakte und ihr
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