Der Krieg der Zwerge
Veränderung an seiner Haut entging ihr. »Er scheint Vraccas' Wohlwollen zu besitzen«, sagte sie nach einer guten Stunde. »Ich habe keine Stelle entdecken können, die besonders kalt oder verfärbt wäre.«
»Was hätte es bedeutet?«, wollte Ingrimmsch augenblicklich wissen.
»Dass das Fleisch darunter ohne Blut ist. Es würde sich schwarz färben, verfaulen und schließlich abfallen. Oft spürt man die Erfrierung kaum, es ist nicht mehr als ein leichtes Unbehagen, da die Kälte eine betäubende Wirkung auf die Sinne hat. Ist der Kältebrand entstanden, gibt es nichts mehr zu retten.« Myr begann damit, die Atmung und das Herz abzuhorchen. »Meistens sind Hände und Füße betroffen, aber dein Bruder fühlt sich im Ganzen kalt, jedoch nicht eisig an.« Sie lauschte angestrengt. »Es ist erstaunlich. Sein Herz schlägt, auch seine Lungen verrichten ihre Dienste, wie es sich gehört, aber viel zu langsam. Er kommt nicht mehr in Schwung. Seine Lebensesse scheint erloschen zu sein …« Ihre Miene hellte sich auf. »Das ist es! Ich brauche einen Zuber mit warmem Wasser. Und Bienenwachs.«
»Ein Bad? Das haben wir schon versucht, aber es brachte nichts«, wagte Boïndil einen behutsamen Einspruch.
»Wartet es ab«, empfahl sie geheimnisvoll.
Die Wanne wurde herangeschafft. Myr nahm ein Lederband, rollte es zu einer Röhre und verschnürte es mit einer Kordel. Danach schob sie die Röhre zwischen Boïndils blasse Lippen und dichtete die Mundwinkel und die Nasenlöcher mit dem erwärmten Wachs ab, sodass Boëndal nur noch durch die Röhre atmen konnte. »Helft mit. Wir legen ihn hinein. Er muss vollständig mit dem Wasser bedeckt sein«, wies sie die beiden an.
Bald ruhte der Zwerg auf dem Grund der Wanne, Bleistücke auf seinen Beinen und Armen hielten ihn unten.
»Jetzt werden wir ihn auftauen und das Eis aus seinem Verstand schmelzen«, erklärte sie, langte nach einer Schaufel und schippte glühende Kohlen in den Zuber. Zischend sanken die Stückchen nach unten und gaben ihre Hitze an das Wasser ab. Myr achtete darauf, dass die Kohle nicht unmittelbar auf seinen Körper fiel.
Probehalber steckte Tungdil seine Hand in das Nass. »Es ist schon sehr warm.«
Besorgt kam Ingrimmsch näher. »Du wirst ihn noch kochen wie eine Wurst, wenn du so weitermachst«, sagte er und schaute sie grimmig an, als sie wieder eine Schaufel voll aus der Esse Drachenbrodem nahm, um sie ins Wasser zu geben. »Hör auf. Es bringt nichts. Er verbrüht sich nur und erstickt.«
»Hast du vorhin nicht noch darum gebeten, dass ich ihm helfen soll? Ich werde ihm nichts zu Leide tun«, versuchte sie ihn zu beruhigen. »Wir müssen alles Blut in seinem Leib gleichzeitig wärmen, auch das in seinem Kopf, sonst bildet sich ein Pfropf aus Eis, und er stirbt. Es wird gelingen, vertraue mir.«
Sie hob die Schaufel über den Bottich, doch der Zwerg schnappte nach dem Griff und hielt ihn fest, ehe sie die Hand drehen und damit die Kohle hineinkippen konnte.
»Und ich sage, wir holen ihn wieder raus«, grollte er, den Kopf gesenkt und offensichtlich bereit, seine Ansicht mittels körperlicher Überlegenheit durchzusetzen. »Denk dir etwas anderes aus, ehe sich sein Fleisch von den Knochen schält und du Suppe aus ihm gekocht hast.«
Ihre roten Augen ruhten furchtlos auf ihm. »Ich bin eine Chirurga, eine Heilkundige, und weiß sehr genau, was ich tue, Boïndil Zweiklinge.« Sie versuchte, die Schippe aus seiner Hand zu winden; er wurde von ihrem Manöver überrascht und ruckte stärker als beabsichtigt an dem Griff.
Ein großes Stück Kohle löste sich durch die Erschütterungen aus der weiß glühenden Masse, kullerte bis an den Rand der Schaufel und hüpfte in den Zuber. Heißer Dampf stieg auf.
Tungdil zögerte nicht, dem Freund den Schmerz zu ersparen. Seine Hand schoss vorwärts, tauchte ins Wasser und fischte nach dem sinkenden Kohlestück, doch er bekam es nicht zu fassen.
Stattdessen senkte es sich auf Boëndal, berührte die nackte Brust auf Herzhöhe und brannte sich in die Haut.
Tungdil sah genau, wie ein Ruck durch den Zwerg lief. »Habt ihr das gesehen?«, fragte er die anderen. »Er hat …«
Boëndal riss die Augen auf, richtete sich kerzengerade auf, riss sich das Lederröhrchen vom Mund und schnappte nach Luft. Dann hustete er anhaltend.
»Raus mit ihm«, sagte Myr und hielt vorgewärmte Handtücher bereit, in die sie ihn einschlugen, sobald er den Bottich verlassen hatte.
Fürsorglich wischte Ingrimmsch die Tropfen vom Gesicht seines
Weitere Kostenlose Bücher