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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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beiden an die Hand, lief durch die Stadt und merkte sich, wo welche Technik stand. Wenn ein Posten sie anbrüllte, dann riss sie den Mund weit auf und tat, als wäre sie schwachsinnig. Und das mehrere Jahre lang ... Eine Mutter riskierte das Leben ihrer Kinder ...
    Oder unsere Sasharskaja, die hatte eine Tochter, Valeria. Das Mädchen war sieben Jahre alt. Die Kantine sollte in die Luft gesprengt werden. Wir beschlossen, eine Mine in den Ofen zu legen, aber die musste man erst mal reinschmuggeln. Die Mutter erklärte, das würde ihre Tochter tun. Sie legte die Mine in einen Korb, darüber ein paar Kinderkleider, ein Plüschtier, zwei Dutzend Eier und Butter. So brachte das Mädchen die Mine in die Kantine. Es heißt: Der Mutterinstinkt ist stärker als alles andere. Nein, die Idee ist stärker. Und der Glaube. Wir haben gesiegt, weil wir geglaubt haben. Die Heimat und wir – das war eins. So bleibe ich bis ans Ende meiner Tage ...«
    Alexandra Iwanowna Chromowa ,
    Sekretärin des illegalen Parteikreiskomitees von Antopol
    »In unserer Abteilung waren die Brüder Tschimukin ... Sie gerieten im Dorf in einen Hinterhalt, die Scheune, in der sie saßen, wurde angezündet. Sie leisteten bis zum letzten Moment Widerstand, schossen, dann kamen sie heraus, völlig verbrannt. Sie wurden auf einem Wagen herumgefahren und allen gezeigt, damit jemand sie erkannte und verriet, wer sie waren.
    Das ganze Dorf stand da. Auch ihr Vater und ihre Mutter, doch niemand sagte einen Ton. Was für ein Herz muss eine Mutter haben, um da nicht zu schreien ... Nicht zu reagieren ... Aber sie wusste, wenn sie weint, dann wird das ganze Dorf niedergebrannt. Dann werden alle getötet. Das Dorf wird niedergebrannt als Partisanennest. Für alles gibt es Auszeichnungen, aber für diese Mutter wäre keine gut genug, nicht einmal die allerhöchste, der Stern des Helden ... Für ihr Schweigen ...«
    Polina Kasperowitsch , Partisanin
    »Wir gingen alle beide. Zu den Partisanen ging ich zusammen mit meiner Mutter. Sie hat für alle Wäsche gewaschen und gekocht. Wenn nötig, stand sie auch Wache. Einmal war ich zu einem Auftrag unterwegs, und man teilte meiner Mutter mit, ich sei aufgehängt worden. Als ich nach ein paar Tagen zurückkam, erlitt sie einen Schock und verlor für einige Stunden die Sprache. Das alles musste man aushalten ...
    Einmal fanden wir am Wegrand eine Frau, sie war bewusstlos. Sie konnte nicht laufen, sie kroch auf allen vieren und dachte, sie sei schon tot. Sie spürte, dass ihr Blut noch pulsierte, aber sie meinte, dass spüre sie schon im Jenseits, nicht mehr auf dieser Welt. Als wir sie einigermaßen zu Bewusstsein gebracht hatten, erzählte sie ... Sie erzählte von ihrer Erschießung ... Sie wurde zusammen mit ihren fünf Kindern zur Erschießung geführt ... Die Kinder töteten sie bereits unterwegs. Sie schossen sie ab und amüsierten sich dabei ... Wie auf der Jagd ... Übrig blieb nur der Letzte, ein Säugling. Ein Faschist bedeutete ihr durch Gesten: Wirf ihn hoch, ich will ihn abschießen. Die Mutter warf das Kind so, dass sie selbst es tötete. Ihr eigenes Kind. Bevor der Deutsche es erschießen konnte ... Sie sagte zu uns, sie wolle nicht mehr leben. Nach alldem könne sie nicht mehr in dieser Welt sein, nur noch im Jenseits ...
    Ich wollte nicht töten, ich bin nicht zum Töten geboren. Ich wollte Lehrerin werden. Aber ich habe gesehen, wie ein Dorf niedergebrannt wurde ... Ich konnte nicht schreien, ich konnte nicht laut weinen: Wir waren auf einem Erkundungsgang auf dieses Dorf gestoßen ... Ich konnte mir nur auf die Hände beißen, die Narben davon habe ich noch immer. Ich erinnere mich, wie die Menschen schrien. Wie die Kühe schrien, die Hühner. Mir schien, dass sie alle mit menschlicher Stimme schrien. Alles Lebendige. Brannte und schrie ...
    Das erzähle nicht ich, das erzählt mein Kummer ... Meine Liebe zu allem, was mir lieb ist ...«
    Valentina Michailowna Ilkewitsch ,
    Partisanen-Verbindungsfrau
    »Wir mussten siegen ...
    Später dachten die Leute, mein Vater habe bleiben müssen, im Auftrag des Kreisparteikomitees. Aber das stimmte nicht, wir hatten keinen Auftrag. Wir hatten selbst entschieden zu kämpfen. Ich erinnere mich nicht, dass in unserer Familie Panik ausgebrochen wäre. Großer Kummer, das ja, aber keine Panik. Alle glaubten an unseren Sieg. Am ersten Tag, als die Deutschen in unser Dorf einmarschierten, spielte mein Vater am Abend auf der Geige die Internationale. Er wollte irgendetwas

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