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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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auf die Wunde, etwas anderes war nicht da. Und das hatte ich irgendwo gelesen ... Das mit dem Petroleum ...
    Ich pflegte sie gesund, brachte sie wieder auf die Beine. Erst ging der eine in den Wald, dann auch der andere. Der Zweite, als der ging, fiel er vor mir auf die Knie. Er wollte mir die Füße küssen: ›Meine Schwester, meine Liebe! Du hast mir das Leben gerettet.‹
    Wir wussten voneinander keinen Namen, nichts. Nur Bruder und Schwester.
    Am Abend versammelten sich die Frauen bei mir in der Hütte.
    ›Die Deutschen sagen, sie haben Moskau genommen.‹
    ›Niemals!!‹
    Mit diesen Frauen habe ich nach der Befreiung den Kolchos wieder aufgebaut, mich machten sie zur Vorsitzenden. Außerdem hatten wir noch vier Opas und fünf Halbwüchsige unter dreizehn. Das waren meine Pflüger. Wir besaßen zwanzig Pferde, sie hatten Grind und mussten behandelt werden. Das war alles, das war unsere ganze Wirtschaft. Wir hatten keine Räder und keine Joche. Mit Spaten gruben die Frauen die Erde um, vor die Egge spannten wir Kühe. Die Jungs waren den ganzen Tag auf dem Feld, abends schnürten sie ihr Bündel auf, und alle aßen das Gleiche – Prasnaki. Sie wissen bestimmt nicht einmal, was das ist. Sauerampfersamen, Melde ... Das kennen Sie nicht? Ein Unkraut. Und Klee. Das alles im Mörser zerstampft. Auch Eicheln. Daraus haben wir diese Prasnaki gebacken. Das war unser Brot ...
    Im Herbst kam eine Anordnung: Wir sollten fünfhundertachtzig Kubikmeter Holz schlagen. Wer? Ich nahm meinen zwölfjährigen Jungen und mein zehnjähriges Mädchen mit. Genauso machten es die anderen Frauen. Wir haben das Holz abgeliefert ...«
    Vera Mitrofanowna Tolkatschowa ,
    Partisanenverbindungsfrau
    Iossif Georgijewitsch Jassjukewitsch und seine TochterMaria, im Krieg Verbindungsleute der Petrakow-Partisanenabteilung der Brigade Rokossowski, erzählen:
    Iossif Georgijewitsch:
    »Ich habe alles gegeben für den Sieg ... Das Liebste ... Meine Söhne waren an der Front. Zwei Neffen wurden wegen Verbindung zu den Partisanen erschossen. Meine Schwester, ihre Mutter, haben die Faschisten verbrannt ... In ihrem eigenen Haus ... Die Leute erzählten, solange der Rauch noch nicht alles vernebelte, sahen sie, wie sie kerzengerade dastand, mit einer Ikone in der Hand. Als der Krieg vorbei war ... Wenn die Sonne untergeht, denke ich immer, es brennt ...«
    Maria:
    »Ich war noch ein Kind, dreizehn Jahre alt. Ich wusste, dass Vater den Partisanen hilft. Das verstand ich. Nachts kamen irgendwelche Leute. Sie brachten und holten etwas. Vater nahm mich oft mit, setzte mich auf den Pferdewagen und sagte: ›Bleib da sitzen, rühr dich nicht von der Stelle.‹ Wenn wir ankamen, holte er da Waffen oder Flugblätter raus.
    Dann schickte er mich manchmal zur Bahnstation. Er brachte mir bei, was ich mir merken sollte. Ich schlich mich vorsichtig ins Gebüsch und blieb bis in die Nacht dort sitzen, zählte, wie viele Züge durchfuhren. Merkte mir, was sie geladen hatten, das sah man ja: Waffen, Panzer oder Soldaten. Zwei-, dreimal am Tag schossen die Deutschen auf das Gebüsch.«
    »Hatten Sie keine Angst?«
    »Ich war klein, ich kam immer so durch, dass mich keiner bemerkte. Aber an dem Tag ... Ich erinnere mich noch genau ... Vater hatte zweimal versucht, das Vorwerk zu verlassen, wo wir wohnten. Am Waldrand warteten die Partisanen auf ihn. Zweimal fuhr er los, beide Male wurde er von Patrouillen zurückgeschickt. Es wurde schon dunkel. Er rief nach mir: ›Marika!‹ Und Mutter: ›Ich lasse das Kind nicht weg!‹ Sie zog mich weg vom Vater ...
    Aber ich lief durch den Wald, wie er es mir aufgetragen hatte. Ich kannte alle Wege dort in- und auswendig, allerdings fürchtete ich die Dunkelheit. Ich fand die Partisanen, sie warteten noch, und übermittelte ihnen alles, was Vater gesagt hatte. Auf dem Rückweg wurde es schon hell. Wie sollte ich an den deutschen Patrouillen vorbeikommen? Ich irrte im Wald herum, fiel in einen See, Vaters Jackett, die Stiefel – alles versank. Ich kroch aus dem Gestrüpp ... Lief barfuß durch den Schnee ... Ich wurde krank, und seitdem bin ich nicht wieder aufgestanden. Meine Beine sind gelähmt. Ärzte und Medikamente gab es damals nicht. Mutter hat mich mit Kräutersud behandelt. Mit heißem Lehm ...
    Nach dem Krieg gingen wir zu vielen Ärzten. Zehn Operationen ... Aber es war zu spät. Zu spät ... Ich blieb liegen ... Ich kann auch sitzen, aber nicht lange ... Ich liege da und schaue aus dem Fenster. Denke an den Krieg

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