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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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war bei den Partisanen umgekommen, meine Mutter erschossen, mein Vater an der Front. Er kam verwundet und krank heim. Er lebte nicht mehr lange, er starb bald. So war von unserer Familie nur noch ich übrig. Diese Frau war selbst arm, und außerdem hatte sie zwei Kinder zu versorgen. Ich wollte weggehen, irgendwohin. Aber sie weinte und ließ mich nicht weg.
    Als ich erfuhr, dass sie meine Mutter erschossen hatten, wurde ich fast verrückt, fand keine Ruhe ... Ich musste ... Ich musste sie unbedingt finden. Sie hatten sie erschossen und das Grab, einen großen Panzergraben, mit Autos planiert. Man zeigte mir, wo der Panzergraben ungefähr gewesen war, und ich lief hin und fing an zu graben, wühlte zwischen den Leichen herum. Ich erkannte meine Mutter an ihrem Ring an der Hand ... Als ich sie sah, schrie ich auf, an mehr kann ich mich nicht erinnern ... An nichts mehr. Irgendwelche Frauen zogen sie heraus, wuschen sie mit Wasser aus einer Konservendose und begruben sie. Diese Konservendose bewahre ich heute noch auf. Zusammen mit meinen Partisanenauszeichnungen ...
    Nachts liege ich manchmal wach und denke: Meine Mutter ist meinetwegen gestorben. Nein, nicht meinetwegen ... Wenn ich aus Angst um meine Angehörigen nicht zu den Partisanen gegangen wäre, und wenn noch einer und noch einer so gehandelt hätte, dann wäre es heute nicht, wie es ist. Aber sich zu sagen ... Vergessen ... Wie meine Mutter übers Feld lief ... Dann der Schießbefehl ... Und ich schoss in die Richtung, aus der sie kam. Ihr weißes Tuch ... Sie werden nie erfahren, wie schwer es ist, damit zu leben. Je länger es her ist, desto schlimmer wird es. Manchmal hörst du in der Nacht junges Lachen oder eine Stimme unterm Fenster und zuckst zusammen, du denkst, da weint oder schreit ein Kind. Oder du wachst auf und spürst, dass du keine Luft mehr bekommst. Brandgeruch nimmt dir den Atem ... Sie wissen nicht, wie ein brennender menschlicher Körper riecht, besonders im Sommer. Irgendwie unheilvoll und süßlich. Noch heute, ich arbeite in der Kreisverwaltung, und wenn es irgendwo brennt, dann muss ich vor Ort fahren, den Fall dokumentieren, aber wenn es heißt, der Brand ist in einer Farm, da sind Tiere umgekommen, dann fahre ich da nie hin, das kann ich nicht, das erinnert mich zu sehr ... Wie im Krieg ... Wie lebende Menschen brannten ... Und dann wachst du mitten in der Nacht auf, holst Parfüm, aber auch in dem Parfüm riechst du diesen Geruch. Er lässt sich nicht vertreiben ... Aus der Erinnerung ...
    Ich habe mich lange gescheut zu heiraten. Hatte Angst, Kinder zu bekommen. Wenn plötzlich Krieg ist und ich gehe an die Front – was wird dann aus den Kindern? Manchmal denke ich: Ob ich meine Mutter wohl im Jenseits wiedersehe? Was wird sie mich fragen? Was werde ich ihr antworten?«
    Antonina Alexejewna Kondraschowa ,
    Aufklärerin bei den Partisanen der
    Bytoschsker Partisanenbrigade
    »Mein erster Eindruck ... Ich sah einen Deutschen ... Das war, als hätte mich jemand geschlagen, der ganze Körper tat weh, jede Zelle – wieso sind sie hier? Nach ein paar Tagen war von der, die ich vor dem Krieg war, nichts mehr übrig. Ich war ein anderer Mensch. Hass überkam uns, und dieser Hass war stärker als die Angst um die Angehörigen, um die, die man liebte, und stärker als die Angst vorm eigenen Tod. Natürlich dachten wir an unsere Familie ... Aber wir hatten keine Wahl. Die Faschisten durften nicht auf unserem Boden bleiben.
    Als zum Beispiel bekannt wurde, dass ich verhaftet werden sollte, ging ich in eine Partisanenabteilung. Ich hinterließ zu Hause meine fünfundsiebzigjährige Mutter, und zwar ganz allein. Wir verabredeten, sie solle sich blind und taub stellen, dann würde man sie nicht anrühren. Das redete ich mir jedenfalls zu meinem eigenen Trost ein.
    Am nächsten Tag drangen Faschisten in unser Haus ein. Meine Mutter tat, als wäre sie blind und schwerhörig, wie wir es verabredet hatten. Sie schlugen sie brutal, sie wollten erfahren, wo ihre Tochter sei. Meine Mutter war danach lange krank ...«
    Jadwiga Michailowna Sawizkaja ,Untergrundkämpferin
    »Ich dachte immer, ich sei Materialistin, und zwar eine ganz entschiedene. Aber in Wirklichkeit glaube ich an den Geist, daran, dass der Mensch vom Geist gelenkt wird. Diesen Glauben habe ich im Krieg gewonnen ...
    Meine Freundin Katja Simakowa war Partisanen-Verbindungsmann. Sie hatte zwei Mädchen, beide noch klein, wie alt mögen sie gewesen sein – so sechs, sieben. Sie nahm die

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