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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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deutsche Provokation eingehen! Als Kommunist fügte er sich der Parteidisziplin. Dem Statut. Als Kommunist ...
    Die zwei Tage waren vorbei. Die achtundvierzig Stunden. Wir schickten Aufklärer in die Stadt. Sie erfuhren: Die Familie des Kommandeurs war erschossen worden. Auch die kleinen Mädchen. Im nächsten Gefecht fiel der Kommandeur ... Fiel irgendwie unerklärlich. Zufällig. Ich denke, er wollte sterben ... Ich muss immer noch weinen, wenn ich davon erzähle ...«
    V. Korotajewa , Partisanin
    Was hat uns der Sieg gekostet? Welchen Preis haben wir dafür gezahlt?! Das werden wir nie ganz erfahren ... Die Opfer schweigen, die Zeugen sind verstummt. Oft bekomme ich zu hören: »Ich habe nur Tränen, keine Worte.«
    Ich habe nicht die Kraft, mir alles anzuhören. Aber sie müssen reden ...

Von einem Korb mit einer Mine und
einem Plüschtier und Ikonentüchern
    »Ich hatte einen Auftrag erfüllt ... Ich konnte nicht mehr im Dorf bleiben, ich ging in die Partisanenabteilung. Ein paar Tage später wurde meine Mutter von der Gestapo abgeholt. Mein Bruder konnte noch weglaufen, aber meine Mutter wurde mitgenommen. Sie wurde gefoltert und verhört, wo ihre Tochter sei. Zwei Jahre war sie dort. Zwei Jahre lang nahmen die Faschisten sie und andere Frauen bei ihren Operationen mit ... Sie hatten Angst vor Partisanenminen und ließen deshalb immer Zivilisten vorangehen – waren dort Minen, dann traten die Einheimischen darauf, und die deutschen Soldaten blieben unversehrt. Lebendige Schutzschilde ... Zwei Jahre lang nahmen sie meine Mutter mit ...
    Oft habe ich erlebt: Wir sitzen im Hinterhalt, und plötzlich sehen wir Frauen auf uns zukommen, hinter ihnen Deutsche. Sie kommen näher, und du siehst, deine Mutter ist dabei. Das Schlimmste ist das Warten – auf den Schießbefehl des Kommandeurs. Alle warten voller Angst auf diesen Befehl. Dann flüstert einer: ›Da ist meine Mutter‹, ein anderer: ›Und da ist meine Schwester‹, und wieder ein anderer entdeckt sein Kind ... Meine Mutter trug immer ein weißes Kopftuch. Sie war groß, sie war immer als Erste zu erkennen. Selbst wenn ich sie noch nicht entdeckt hatte, hieß es schon: ›Da läuft deine Mutter ...‹ Wenn der Schießbefehl kommt, schießt du. Du weißt selbst nicht, wohin, du hast nur eins im Kopf: Nicht das weiße Kopftuch aus den Augen verlieren – lebt sie, ist sie hingefallen? Das weiße Kopftuch ... Alle rennen auseinander, fallen hin, und du weißt nicht, ob deine Mutter tot ist oder nicht. Zwei Tage oder länger laufe ich rum wie betäubt, bis die Verbindungsleute aus dem Dorf kommen und sagen, dass sie lebt. Dann kannst du auch wieder leben. Bis zum nächsten Mal. Ich glaube, heute würde ich das nicht mehr aushalten ... Aber ich habe sie gehasst, und dieser Hass hat mir geholfen. Noch heute gellt in meinen Ohren der Schrei eines Kindes, das in einen Brunnen geworfen wurde. Haben Sie einen solchen Schrei jemals gehört? Das Kind fällt und schreit, und der Schrei klingt, als käme er aus der Erde, aus dem Jenseits. Das klingt nicht wie ein Kind, nicht wie ein Mensch. Oder der Anblick eines jungen Burschen, der zersägt wurde ... Zersägt wie ein Baumstamm ... Ein Partisan von uns ... Danach, beim nächsten Auftrag, verlangt deine Seele nur eins: Sie töten, so viele wie möglich töten, sie auf die brutalste Weise vernichten. Wenn ich gefangene Faschisten sah, wäre ich jedem von ihnen am liebsten an die Gurgel gegangen. Hätte sie am liebsten erwürgt. Mit eigenen Händen erwürgt, ihnen die Gurgel durchgebissen. Ich hätte sie nicht erschossen, das wäre ein viel zu leichter Tod für sie gewesen. Nicht mit der Waffe, nicht mit dem Gewehr ...
    Kurz vor ihrem Rückzug, das war schon dreiundvierzig, haben die Faschisten meine Mutter erschossen ... Meine Mutter, die war so – sie hat uns selbst ihren Segen gegeben: ›Geht nur, Kinder, ihr müsst leben. Das ist besser, als einfach so zu sterben, besser, ihr sterbt nicht einfach so.‹
    Meine Mutter machte keine großen Worte, sie fand einfache Frauenworte. Sie wünschte sich, wir sollten leben und lernen, vor allem lernen.
    Die Frauen, die mit ihr in einer Zelle saßen, haben mir erzählt, dass sie jedes Mal, wenn sie geholt wurde, bat: ›Ach, Frauen, ich weine nur um eins: Wenn ich sterbe, helft meinen Kindern!‹
    Nach dem Krieg nahm eine der Frauen mich bei sich auf, in ihre Familie, obwohl sie zwei kleine Kinder hatte. Unsere Hütte hatten die Faschisten niedergebrannt, mein jüngerer Bruder

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