Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
...«
Iossif Georgijewitsch:
»Ich trage sie auf den Armen ... Seit vierzig Jahren. Wie ein kleines Kind ... Vor zwei Jahren ist meine Frau gestorben. Alles, hat sie gesagt, hab ich dir verziehen. Deine Jugendsünden. Alles. Aber Marika, die verzieh sie mir nicht. Das sah ich an ihren Augen. Ich habe Angst zu sterben. Dann ist Marika allein. Wer soll sie dann tragen? Sie zur Nacht bekreuzigen? Zu Gott bitten für sie ...«
Von Mamas und Papas
Das Dorf Ratynzy, Kreis Woloshin, Gebiet Minsk. Eine Stunde Fahrt von der Hauptstadt. Ein ganz normales weißrussisches Dorf – Holzhäuser, farbige Gartenzäune, Hähne und Gänse auf den Straßen. Kinder spielen im Sand. Alte Frauen sitzen auf Bänken. Ich bin mit einer von ihnen verabredet, doch die ganze Straße hat sich versammelt. Sie erzählen. Klagen.
Jede über das Ihre und alle zusammen über dasselbe. Wie sie pflügten, säten, Brot buken für die Partisanen, wie sie ihre Kinder beschützten, zu Wahrsagerinnen und Hexen liefen, ihre Träume deuteten und Gott um Hilfe baten ... Und warteten, dass ihre Männer aus dem Krieg heimkehrten ...
Ich schreibe mir ihre Namen auf: Jelena Adamowna Welitschko , Justina Lukjanowna Grigorowitsch , Maria Fjodorowna Masuro .
»Ach, mein Töchterchen! Mein Goldstück, ich kann den Tag des Sieges nicht leiden. Ich weine! Oh, wie ich weine! Wenn ich daran denke. Dann ist alles, alles wieder da ... Das Glück liegt hinter den Bergen, aber das Unglück schleppen wir mit uns rum ...
Die Deutschen haben uns niedergebrannt, uns alles weggenommen. Nur noch grauer Stein war übrig. Wir kamen zurück aus dem Wald, und nichts war mehr da. Nur noch ein paar Katzen. Was wir gegessen haben? Im Sommer hab ich im Wald Beeren und Pilze gesammelt. Ich hatte die Hütte voller Kinder.
Als der Krieg aus war, gingen wir in den Kolchos. Ich hab gemäht und gedroschen. Vor den Pflug spannten wir statt Pferde uns selber. Pferde hatten wir keine, die hatten sie auch getötet. Selbst die Hunde hatten sie abgeschossen. Meine Mutter sagte immer: ›Wenn ich sterbe – was mit der Seele wird, das weiß ich nicht, aber meine Hände, die werden dann endlich ausruhen.‹ Meine Tochter war zehn Jahre alt, und sie ging mit mir zusammen Getreide mähen. Der Brigadier kam nachsehen, wie das geht, so klein noch und bis zum Abend die Norm schaffen. Wir mähten und mähten, die Sonne sank schon hinter den Wald, aber wir hätten sie am liebsten hochsteigen sehen. Der Tag war uns zu kurz. Wir schafften zwei Normen. Aber Lohn bekamen wir dafür nicht, nur Häkchen und Anrechnungseinheiten. Den ganzen Sommer auf dem Feld, aber im Herbst gab es dafür nicht einmal einen Sack Mehl. Wir haben die Kinder nur mit Kartoffeln großgezogen.«
»Der Krieg, das Unheil ... In meiner Hütte waren nur noch Kinder übrig. Nackt und bloß. Als mein Mädchen in die Schule kam, da habe ich ihr zum ersten Mal Schuhe gekauft. Sie ging sogar damit schlafen, wollte sie gar nicht ausziehen. So haben wir gelebt! Das Leben geht zu Ende, und es gibt nichts, woran man sich erinnern kann. Nur den Krieg ...«
»Es kam das Gerücht auf, sie hätten unsere Gefangenen ins Städtchen gebracht, und wer einen Angehörigen findet, der kann ihn mitnehmen. Unsere Frauen liefen sofort los. Am Abend kamen sie zurück, manche mit einem Angehörigen, andere mit einem Fremden, und sie erzählten Sachen, das konnte man gar nicht glauben: Die Menschen verfaulen bei lebendigem Leib, sterben vor Hunger, essen das Laub von den Bäumen ... Gras ... Graben Wurzeln aus der Erde ... Ich lief am nächsten Tag auch hin, einen Angehörigen fand ich nicht, aber ich dachte, dann rette ich eben irgendjemandes Sohn. Ein Schwarzhaariger gefiel mir, Saschko hieß er, so wie mein Enkel jetzt. Er war vielleicht achtzehn Jahre alt. Ich gab dem Deutschen Speck und Eier, schwor: ›Er ist mein Bruder‹, bekreuzigte mich. Wir kamen nach Hause, und er konnte nicht einmal ein ganzes Ei essen, so schwach war er. Einen Monat lebten sie bei uns, und dann fand sich ein Schweinehund. Einer von uns, verheiratet, zwei Kinder ... Er ging in die Kommandantur und meldete, dass wir Fremde genommen hatten. Am nächsten Tag kamen die Deutschen auf Motorrädern. Wir haben gebettelt, sie auf Knien angefleht, aber sie behaupteten, sie würden sie in die Gegend bringen, wo sie herkommen. Ich gab Saschko Opas Anzug ... Ich dachte, er würde überleben ...
Aber sie brachten sie nur aus dem Dorf raus. Und schossen sie mit MP s nieder. Alle. Ohne
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