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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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gerochen, ich konnte mich daran gar nicht satt riechen. Der Geruch von Glück. Von Frauenglück. Drei Jahre hatte ich nur Fußlappen gerochen. Kunstlederstiefel. Im Krieg gibt es keine weiblichen Gerüche. Nur männliche. Der Krieg riecht männlich.
    Ich habe zwei Kinder ... Einen Jungen und ein Mädchen. Zuerst kam der Junge. Ein guter, kluger Junge. Er hat studiert, ist Architekt. Aber das Mädchen ... Mein Mädchen ... Sie lernte erst mit fünf laufen, ihr erstes Wort, ›Mama‹, sagte sie mit sieben. Sie sagt noch heute nicht richtig ›Mama‹, nur ›Mumo‹, nicht ›Papa‹, sondern ›Pupo‹. Sie ... Ich denke noch immer, das ist gar nicht wahr ... Ein Irrtum ... Sie ist im Irrenhaus ... Seit vierzig Jahren ... Ich gehe sie jeden Tag besuchen, wenn ich nicht krank bin, wenn ich es bis zum Bus schaffe. Meine Sünde ... Mein Mädchen ...
    Jeden ersten September kaufe ich ihr eine neue Fibel. Mit Bildern. ›Kauf mir eine Fi-i-i-bel. Ich geh in Schu-u-ule.‹ Ich kaufe sie ihr. Tagelang lesen wir in der Fibel. Manchmal, wenn ich von ihr nach Hause komme, denke ich, ich habe das Lesen und Schreiben verlernt. Das Sprechen. Und ich brauche das alles nicht.
    Ich bin bestraft ... Wofür? Vielleicht dafür, dass ich getötet habe? Manchmal denke ich das ... Alter, das ist, wenn man viel Zeit hat, mehr als früher. Ich grüble und grüble. Ich trage meine Sünde. Jeden Morgen liege ich auf den Knien, schaue aus dem Fenster. Und bitte Gott ... Für alle bitte ich. Meinem Mann bin ich nicht mehr böse. Ich habe ihm verziehen. Als die Tochter geboren war ... Er schaute sie an ... Er blieb noch eine Weile bei uns und ging fort. Er verließ uns mit Vorwürfen: ›Zieht eine normale Frau etwa in den Krieg? Lernt schießen? Darum kannst du auch kein normales Kind zur Welt bringen.‹ Ich bete für ihn ...
    Und wenn er recht hat?
    Ich habe die Heimat mehr als alles auf der Welt geliebt. Geliebt ... Wem kann ich das heute noch erzählen? Meinem Mädchen. Ich erzähle ihr vom Krieg, und sie denkt, ich erzähle ihr Märchen. Kindermärchen. Schaurige Kindermärchen ...
    Schreiben Sie nicht, wie ich heiße. Bitte ...«
    Klawdija S-wa , Scharfschützin

»Von winzigen Kartoffeln ...«
    Es gab noch einen anderen Krieg – den Untergrund und den Partisanenkampf. Das war ein gigantischer Raum der Einsamkeit. Denn dieser Krieg verlangte vom Menschen doppelt Unmenschliches: nicht nur, selbst zu sterben, sondern auch, andere zu opfern – die eigene Mutter, das eigene Kind, seine ganze Familie, sein ganzes Dorf ... Mut blieb dort ebenso wie Verrat häufig ohne Zeugen. Dieser Krieg kannte keine Feuerpause, keine Gesetze, keinen Anfang und kein Ende. Hier kämpften nicht Armeen – Fronten, Divisionen, Bataillone –, sondern das Volk – Partisanen und Untergrundkämpfer, und zwar jeden Tag, jede Stunde, jeden Augenblick. Tolstoi nannte dieses vielgestaltige Aufbegehren den »Knüppel des Volkszorns« und »verborgene Wärme des Patriotismus«, und Hitler beklagte sich bei seinen Generälen: »Russland hält sich nicht an die Regeln der Kriegsführung.«
    Ich erinnere mich, dass in weißrussischen Dörfern am Tag des Sieges nicht gefeiert wird, sondern geweint. Viele weinen. Trauern. »Es war so schrecklich ... Ich habe alle meine Angehörigen begraben, ich habe im Krieg meine Seele begraben« ( W. G. Androssik , Untergrundkämpferin). Wenn sie mir etwas erzählen, sprechen sie erst ganz leise, am Ende aber schreien sie fast.
    »Jeder konnte sich entscheiden ... Aber es kam vor, dass man nach seiner Entscheidung nicht mehr weiterleben konnte. Nicht mehr konnte! Ich bin Zeuge ... Der Kommandeur unserer Partisanenabteilung ... Den Namen möchte ich nicht nennen, seine Angehörigen leben noch, und ich will ihnen nicht wehtun ...
    Unsere Verbindungsleute meldeten, dass die Gestapo seine Familie abgeholt hatte – seine Frau und seine beiden Mädchen. Überall hingen Bekanntmachungen mit einem Ultimatum: Unser Kommandeur soll aus dem Wald kommen und sich den Deutschen stellen, sonst wird seine Familie erschossen. Zwei Tage Bedenkzeit. Achtundvierzig Stunden ... Die Polizisten fuhren rum und agitierten die Leute: Die roten Kommissare haben nicht einmal mit den eigenen Kindern Mitleid ... Der Kommandeur wollte sich stellen, wollte sich erschießen. Sich aufhängen. Er fand keinen Ausweg ... Wir nahmen Verbindung mit Moskau auf. Beriefen in der Partisanenabteilung eine Parteiversammlung ein. Es wurde der Beschluss gefasst: Nicht auf die

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