Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
Vom Netzwerk:
niemand gezwungen ... Ich habe geglaubt ... Das ist mein Leben ...
    Ja, mein Leben ...
    Bei den Partisanen war ich zwei Jahre. Im letzten Gefecht wurden meine Beine verwundet, ich verlor das Bewusstein, es war strenger Frost, und als ich zu mir kam, spürte ich, dass meine Hände erfroren waren. Jetzt sind es lebendige, gute Hände, aber damals waren sie ganz schwarz ... Und die Füße waren natürlich auch erfroren. Wenn der Frost nicht gewesen wäre, hätte man die Beine vielleicht noch retten können, aber sie waren voller Blut, und ich lag lange in der Kälte. Als sie mich fanden, legten sie mich zu den anderen Verwundeten, sie brachten uns alle an einen Ort, wir waren viele, doch dann wurden wir wieder von den Deutschen umzingelt. Die Abteilung zog sich zurück ... Durchbrach die Umzingelung ... Wir wurden wie Brennholz auf Schlitten geworfen. Keiner hatte Zeit, jemanden zu untersuchen, zu bedauern, wir wurden tiefer in den Wald gebracht. Versteckt. Immer weiter und weiter, und dann meldeten sie meine Verwundung nach Moskau. Ich war ja Abgeordnete des Obersten Sowjets. Eine wichtige Person, auf die man stolz war. Ich kam von ganz unten, eine einfache Bäuerin. Aus einer Bauernfamilie. Ich bin sehr früh in die Partei eingetreten ...
    Die Beine waren verloren ... Sie haben sie amputiert ... Um mich zu retten, gleich dort, im Wald. Eine Operation unter primitivsten Bedingungen. Sie legten mich auf den OP -Tisch, es gab nicht einmal Jod, und sägten mir mit einer einfachen Säge die Beine ab, beide Beine ... Sie legten mich auf den Tisch, und es war kein Jod da. Sie fuhren sechs Kilometer weit in eine andere Abteilung, um Jod zu holen, und ich lag da auf dem Tisch. Ohne Narkose. Ohne alles ... Nichts war da, nur eine ganz normale Säge ... Ein Zimmermannssäge ...
    Sie nahmen Verbindung auf mit Moskau, damit ein Flugzeug geschickt wurde. Das Flugzeug kam drei Mal, kreiste über uns, konnte aber nicht landen. Von allen Seiten wurde geschossen. Beim vierten Mal landete es, aber da waren meine Beine schon amputiert. Später wurde in Iwanowo, dann in Taschkent noch vier Mal nachamputiert, weil immer wieder Wundbrand einsetzte. Jedes Mal wurde nur ein Stück amputiert, und am Ende war es sehr viel. Die erste Zeit habe ich geweint ... Geheult ... Ich stellte mir vor, wie ich über die Erde kriechen würde, laufen konnte ich ja nicht mehr, also würde ich kriechen. Ich weiß selbst nicht, was mir geholfen, was mich von finsteren Gedanken abgehalten hat. Wie ich sie mir ausredete. Natürlich habe ich gute Menschen getroffen. Viele gute Menschen. Wir hatten einen Chirurgen, er selbst hatte auch keine Beine mehr, und der sagte über mich, das weiß ich von anderen Ärzten: ›Ich bewundere sie. Ich habe schon viele Männer operiert, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen. Sie sagt keinen Mucks.‹ Ich hielt durch ...
    Dann kam ich zurück nach Disna. In meine Heimatstadt. Auf Krücken. Jetzt kann ich nicht mehr so gut laufen, weil ich alt bin, aber damals bin ich zu Fuß durch die ganze Stadt gelaufen und überallhin. Mit meinen Prothesen. Ich fuhr sogar über Land. Ich wurde stellvertretende Vorsitzende der Kreisverwaltung. Ein hoher Posten. Ich saß nie in meinem Büro. Ich war immer unterwegs, in den Dörfern, auf den Feldern. Ich ärgerte mich sogar, wenn ich meinte, dass man mich bevorzugt behandelte. Es gab damals nur wenige gebildete Kolchosvorsitzende, und wenn eine wichtige Kampagne lief, wurden Vertreter aus dem Kreis vor Ort geschickt. Jeden Montag wurden wir ins Kreiskomitee geholt und bekamen unsere Aufträge, wer wohin fahren sollte. Wenn ich am Fenster saß und sah, alle liefen zum Kreiskomitee, aber mich rief keiner an, dann tat das irgendwie sehr weh. Ich wollte sein wie alle.
    Wenn dann endlich das Telefon klingelte und der Erste Sekretär sagte: ›Fjokla Fjodorowna, kommen Sie bitte zu mir‹, da war ich glücklich, obwohl mir diese Fahrten sehr schwer fielen – in zwanzig, dreißig Kilometer entfernte Dörfer. Mal mit dem Auto, manchmal aber auch zu Fuß. Es kam vor, dass ichirgendwo im Wald hinfiel und nicht mehr aufstehen konnte. Dann legte ich die Tasche weg, um mich abzustützen, oder zog mich an einem Baum hoch und ging weiter. Dabei bezog ich Rente, ich hätte für mich allein leben können, nur für mich. Aber ich wollte für andere da sein. Ich bin Kommunistin ...
    Ich besitze nichts Eigenes. Nur meine Orden, Medaillen und Ehrenurkunden. Das Haus hat der Staat gebaut. Ein großes Haus, weil

Weitere Kostenlose Bücher