Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
ihn tragen ...«
»Ich war allein mit meinen drei kleinen Söhnen ... Ich hab Garben geschleppt, Holz aus dem Wald und Heu. Alles allein. Den Pflug hab ich selber gezogen und die Egge. Was tun?! In jeder zweiten Hütte lebte eine Witwe oder eine Soldatenfrau. Wir waren alle ohne Männer. Ohne Pferde. Auch die Pferde hatten sie an die Front geholt. Nach dem Krieg, da musste die Frau, das sage ich Ihnen ganz ehrlich, Mann und Pferd ersetzen. Alles allein. Ich gehörte zu den Aktivisten. Zwei Ehrenurkunden hab ich bekommen, und einmal sogar zehn Meter Batist. Das war eine Freude! Ich hab meinen Jungs, allen dreien, Hemden daraus genäht.«
»Nach dem Krieg ... Die Söhne der Gefallenen wuchsen gerade erst heran. Mit dreizehn, vierzehn hielten die Jungs sich schon für erwachsen. Wollten heiraten. Männer gab es keine, dafür lauter junge Frauen ...
Wenn man damals zu mir gesagt hätte: Gib deine Kuh her, dann gibt es keinen Krieg – ich hätte sie hergegeben! Damit meine Kinder nicht erleben müssen, was ich erlebt habe. Tag und Nacht spüre ich mein Unglück ...«
»Ich sehe aus dem Fenster, und mir ist, als sitzt er da ... Manchmal, gegen Abend, sehe ich etwas ... Ich bin schon alt, aber ihn sehe ich immer jung. So, wie er gegangen ist. Wenn ich von ihm träume, dann ist er immer jung. Und ich auch ...
Alle Frauen bekamen Gefallenenmeldungen, nur in meinem Papier stand: ›verschollen‹. Mit schwarzer Tinte. Die ersten zehn Jahre habe ich jeden Tag gewartet. Ich warte noch heute. Solange der Mensch am Leben ist, kann man auf alles hoffen ...«
»Wie soll eine Frau allein leben? Es fand sich ein Mann, doch egal, ob er mir eine Hilfe war oder nicht: Es war ein Unglück. Jeder fand ein verächtliches Wort ... Nun haben die Menschen ausgetratscht, die Hunde ausgebellt ... Aber mein Iwan sollte seine fünf Enkel sehen! Manchmal stelle ich mich vor sein Bild, zeige ihm Fotos. Und rede mit ihm ...«
»Gleich nach dem Krieg hatte ich einen Traum: Ich gehe hinaus auf den Hof, und da läuft mein Mann ... In Uniform ... Und ruft, ruft nach mir. Ich sprang aus dem Bett, machte das Fenster auf ... Es war ganz still. Nicht einmal die Vögel sangen. Alles schlief. Der Wind strich durch die Bäume ... Pfiff leise ...
Am nächsten Morgen ging ich mit einem Dutzend Eier zu einer Zigeunerin. ›Er lebt nicht mehr‹, las sie aus den Karten. ›Warte nicht vergebens. Das ist seine Seele, die ums Haus streicht.‹ Wir hatten aus Liebe geheiratet. Aus großer Liebe ...«
»Eine Wahrsagerin hat mich gelehrt: ›Wenn alle eingeschlafen sind, bind dir ein schwarzes Kopftuch um und setz dich vor einen großen Spiegel. Da erscheint er dann ... Berühren darfst du ihn nicht, auch nicht seine Kleidung. Nur mit ihm reden.‹ Ich saß die ganze Nacht vorm Spiegel ... Gegen Morgen kam er ... Er sagte nichts, er schwieg, und ihm liefen die Tränen. Dreimal kam er noch. Wenn ich ihn rief, kam er. Weinte. Da rief ich ihn nicht mehr. Er tat mir leid ...«
»Ich warte auch auf ein Wiedersehen ... Tag und Nacht werde ich ihm erzählen. Ich will gar nichts von ihm, nur, dass er mir zuhört. Er ist dort bestimmt auch alt geworden. Genau wie ich.«
»Meine liebe Erde du ... Ich buddle Kartoffeln, Rüben ... Er ist irgendwo dort, und bald bin ich bei ihm ... Meine Schwester sagt zu mir: ›Schau nicht zur Erde, schau zum Himmel. Sie sind dort oben.‹
Da drüben ist meine Hütte ... Gleich nebenan. Bleib doch über Nacht. Wenn du über Nacht bleibst, erfährst du mehr. Blut ist kein Wasser, es ist ein Jammer, es zu vergießen, aber es wird trotzdem vergossen. Das sehe ich im Fernsehen ... Es wird noch immer vergossen ...
Du brauchst gar nicht über uns zu schreiben ... Hauptsache, du vergisst uns nicht ... Wie wir mit dir geredet haben. Und geweint. Wenn du gehst, dreh dich um nach uns und unseren Hütten. Nicht einmal, wie eine Fremde, sondern zweimal. Wie eine von uns. Mehr ist gar nicht nötig. Dreh dich nur um ...«
Vom kleinen Leben und von der großen Idee
»Ich habe immer geglaubt ... Ich glaubte an Stalin ... Glaubte den Kommunisten. Ich war selbst Kommunistin. Glaubte an den Kommunismus ... Dafür habe ich gelebt und überlebt. Nach Chruschtschows Rede auf dem xx . Parteitag, wo er über die Fehler Stalins sprach, war ich richtig krank, musste mich ins Bett legen. Ich konnte nicht glauben, dass das die Wahrheit war. Eine so schreckliche Wahrheit ... Ich habe im Krieg selbst gerufen: ›Für die Heimat! Für Stalin!‹ Dazu hat mich
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