Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Sie beherrschte sich, aus Angst, dass ich sonst losheulen würde. Ich war ja ein Mamakind, war zu Hause immer verwöhnt worden. Jetzt hatte ich einen Jungenhaarschnitt verpasst bekommen, nur ein kurzer Schopf war noch übrig. Mutter und Vater wollten mich nicht weglassen, aber ich kannte nur eins: an die Front, an die Front! An die Front! Diese Plakate, die jetzt im Museum hängen, ›Die Mutter Heimat ruft!‹ und ›Was tust du für die Front?‹, also, auf mich haben die sehr gewirkt. Ich hatte sie ständig vor Augen ...
Unterwegs waren wir erschüttert, als wir direkt auf den Bahnsteigen Tote liegen sahen. Das war schon richtig Krieg ... Aber die Jugend forderte ihren Tribut, und wir sangen Soldatenlieder. Fröhliche Scherzliedchen.
Bei Kriegsende waren alle in meiner Familie Soldaten. Vater, Mutter, meine Schwester – sie wurden Eisenbahner. Sie rückten hinter der Frontlinie nach und reparierten die Bahnlinie. Die Medaille ›Für den Sieg‹ haben wir alle bekommen: Vater, Mutter, meine Schwester und ich.«
Jewgenija Sergejewna Sapronowa,
Gardeunterfeldwebel, Flugzeugmechanikerin
»Vorm Krieg war ich Telefonistin bei der Armee ... Unser Truppenteil lag in der Stadt Borissow, wo der Krieg gleich in den ersten Wochen hinkam. Der Nachrichtenchef ließ uns alle antreten. Wir waren ja keine Soldaten, wir waren Zivilangestellte.
Er sagte zu uns:
›Ein grausamer Krieg ist ausgebrochen. Es wird sehr schwer für euch Mädchen. Solange es noch nicht zu spät ist: Wer will, kann zurück nach Hause. Wer an der Front bleiben will, bitte einen Schritt vortreten.‹
Alle Mädchen traten geschlossen einen Schritt vor. Alle zwanzig. Alle waren bereit, die Heimat zu verteidigen.
Wir arbeiteten Tag und Nacht, vierundzwanzig Stunden hintereinander. Die Soldaten brachten uns die Kochgeschirre an die Apparate, wir aßen rasch, schliefen ein bisschen, neben unseren Telefonen, und machten weiter. Wir kamen nicht einmal zum Haarewaschen, und ich bat: ›Mädchen, schneidet mir die Zöpfe ab ...‹«
Galina Dmitrijewna Sapolskaja, Telefonistin
»Wir gingen immer wieder ins Wehrkomitee. Klopften wieder und wieder an ...
Als wir erneut hinkamen, ich weiß nicht, zum wievielten Mal schon, schmiss uns der Chef des Wehrkomitees fast raus: ›Wenn ihr wenigstens eine Ausbildung hättet. Als Krankenschwestern, als Chauffeure ... Aber was könnt ihr schon? Was wollt ihr denn an der Front machen?‹ Wir begriffen nicht, dass wir die Leute beim Arbeiten störten. Für uns war das keine Frage: Was tun? Wir wollten kämpfen, und aus. Uns war nicht klar, dass kämpfen heißt, irgendetwas Konkretes zu tun, etwas, das gebraucht wird. Mit seiner Frage hat er uns richtig vor den Kopf gestoßen.
Ich und noch ein paar Mädchen gingen zu einem Schwesternlehrgang. Dort sagte man uns, die Ausbildung dauere sechs Monate. Wir entschieden: Nein, das ist zu lange, das ist nichts für uns. Es gab auch noch Lehrgänge, die drei Monate dauerten. Drei Monate, das fanden wir eigentlich auch zu lange. Aber ein solcher Lehrgang ging gerade zu Ende. Wir baten, zu den Prüfungen zugelassen zu werden. Der Unterricht dauerte noch einen Monat. Nachts hatten wir Praktikum im Lazarett, tagsüber lernten wir. Insgesamt dauerte unsere Ausbildung etwas über einen Monat.
Wir kamen nicht an die Front, sondern in ein Lazarett. Das war Ende August einundvierzig. Im Februar ging ich weg aus dem Lazarett, genau genommen bin ich desertiert, anders kann man das nicht nennen. Ohne Papiere, ohne alles lief ich weg, auf einen Sanitätszug. Ich hinterließ einen Zettel: ›Komme nicht zum Dienst. Gehe an die Front.‹ Und Schluss ...«
Jelena Pawlowna Jakowlewa ,
Hauptfeldwebel, Krankenschwester
»Ich hatte an diesem Tag ein Rendezvous. Ich dachte, an diesem Tag würde er mir gestehen: ›Ich liebe dich‹, aber er kam ganz traurig an: ›Vera, es ist Krieg! Wir werden direkt von der Schule an die Front geschickt.‹ Er ging auf eine Militärschule. Na, ich sah mich natürlich gleich als Jeanne d’Arc. Unbedingt an die Front und unbedingt ein Gewehr in die Hand! Wir mussten zusammen sein. Ich lief ins Wehrkomitee, aber dort hieß es, vorerst würden nur medizinische Fachkräfte gebraucht und die Ausbildung dazu dauere sechs Monate. Sechs Monate – zum Verrücktwerden!
Irgendwie überzeugten sie mich, dass ich eine Ausbildung machen müsse. Na schön, aber nicht als Krankenschwester, ich will schießen! Irgendwie war ich dazu schon bereit. In unsere Schule kamen
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