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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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auftauchen konnten. Ich fürchtete mich nicht vor Toten, hatte von klein auf keine Angst auf dem Friedhof, aber ich war zweiundzwanzig und stand das erste Mal Posten ... In diesen zwei Stunden bekam ich graue Haare ... Meine ersten grauen Haare, eine ganze Strähne, die entdeckte ich am nächsten Morgen. Ich stand die ganze Zeit da und schaute auf dieses Gebüsch, es raschelte, bewegte sich, und ich dachte, da kommen Deutsche ... Und noch etwas ... Irgendwelche Ungeheuer ... Und ich war ganz allein ...
    Ist das etwa Frauensache – nachts auf einem Friedhof Wache stehen? Die Männer nahmen alles anders, sie waren irgendwie vorbereitet auf den Gedanken, dass man Wache stehen muss, schießen ... Aber für uns war das doch alles sehr überraschend ... Oder ein Marsch von dreißig, vierzig Kilometern ... Mit voller Kampfausrüstung ... Da fielen sogar Pferde um, Männer ...«
    Vera Safronowna Dawydowa ,Soldatin, Infanteristin
    »Sie wollten mich nicht für die Front ... Ich war gerade erst sechzehn, noch lange keine siebzehn. Sie wollten unsere Feldscherin, sie bekam eine Einberufung. Sie weinte sehr, sie hatte einen kleinen Jungen. Ich ging ins Wehrkomitee: ›Nehmen Sie mich an ihrer Stelle.‹ Meine Mutter wollte mich nicht lassen: ›Nina, überleg doch mal, wie alt du bist. Vielleicht ist der Krieg ja bald vorbei.‹ Mutter ist eben Mutter. Aber wer sollte die Heimat verteidigen?
    Die Soldaten gaben mir immer was ab, der eine einen Zwieback, der andere ein Stück Zucker. Aus Mitleid. Ich wusste nicht, dass wir eine ›Katjuscha‹ hatten, die stand hinter uns in Deckung. Sie begann zu schießen. Das war ein gewaltiges Getöse, und alles brannte. Das hat mich so verblüfft, ich war so erschrocken über dieses Getöse, das Feuer, den Lärm, dass ich in eine Pfütze fiel und mein Käppi verlor. Die Soldaten lachten. ›Was ist denn, Ninotschek? Was hast du denn, Mädchen?‹
    Nahkampfangriffe ... Woran ich mich erinnere? Ich erinnere mich an das Knirschen ... Sobald der Nahkampf losgeht, hört man sofort dieses Knirschen – Knorpel brechen, menschliche Knochen knacken ... Bei einem Angriff ging ich immer mit den Soldaten, na ja, ein Stück dahinter, also eigentlich fast daneben. Unmittelbar vor meinen Augen ... Männer, die sich gegenseitig abstechen. Verwundete werden getötet ...
    Nach dem Krieg kehrte ich zurück nach Tula. Nachts schrie ich dauernd. Meine Mutter und meine Schwester saßen nachts bei mir ... Ich wachte von meinen eigenen Schreien auf ...«
    Nina Wladimirowna Kowelenowa ,
    Feldwebel, Sanitätsinstrukteurin einer Schützenkompanie
    »Wir kamen in Stalingrad an. Dort tobten tödliche Gefechte. Der allerschlimmste Ort ... Und wir mussten ans andere Ufer der Wolga. Keiner wollte uns anhören. ›Was? Mädchen? Wer zum Teufel kann euch dort gebrauchen! Wir brauchen Schützen und MG s, keine Nachrichtenmädchen.‹ Und wir waren viele, achtzig Personen. Gegen Abend wurden die Mädchen, die größer waren, mitgenommen, aber ich und noch ein Mädchen, wir beide nicht, weil wir so klein waren. Nicht groß genug. Sie wollten uns in der Reserve lassen, aber ich hab so geheult ...
    Beim ersten Gefecht stießen die Offiziere mich die Brustwehr runter, ich hatte den Kopf rausgestreckt, um alles zu sehen. Das war eine Art Neugier, kindliche Neugier ... Der Kommandeur brüllte: ›Soldat Semjonowa, sind Sie verrückt! Verdammt noch mal! Sie sind gleich tot!‹ Das konnte ich nicht verstehen: Wie – tot? Ich war doch gerade erst an die Front gekommen. Ich hatte ja noch gar nicht gekämpft.
    Ich entdeckte den Tod erst ... Ich wusste noch nicht, wie simpel und wahllos er ist ...«
    Nina Alexejwna Semjonowa ,
    Soldatin der Nachrichtentruppen
    »Ich habe den Krieg von Anfang bis Ende mitgemacht ...
    Ich schleppte meinen ersten Verwundeten, mir knickten fast die Beine ein. Ich flüsterte dauernd: ›Dass er nur nicht stirbt ... Dass er nur nicht stirbt ...‹ Ich verbinde ihn und weine, sage etwas Zärtliches zu ihm. Da kommt der Kommandeur vorbei. Und brüllt mich an, ziemlich saftig sogar ...«
    »Warum hat er Sie angebrüllt?«
    »Man durfte nicht so viel Mitleid haben, nicht so weinen wie ich. Dann war man schnell mit der Kraft am Ende, und es waren doch viele Verwundete.
    Wir fuhren, und da lagen Tote, ihre kahl geschorenen Köpfe waren grün wie Kartoffeln von der Sonne ... Und auf dem Feld verstreut wie Kartoffeln ... Wie sie gelaufen waren, so lagen sie nun da, auf dem umgepflügten Feld ...«
    Jekaterina

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