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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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normale Erde, keine Spur mehr. Oft begruben wir Tote im Wald unter Bäumen ... Unter diesen Eichen, unter diesen Birken ...
    Ich kann bis heute nicht in den Wald gehen. Besonders, wo alte Eichen oder Birken stehen ... Da kann ich nicht sitzen ...«
    Olga Wassiljewna Korsh ,
    Sanitätsinstrukteurin einer Kavallerieschwadron
    »Am unerträglichsten waren für mich die Amputationen ... Oft wurde sehr hoch amputiert, das ganze Bein wurde abgeschnitten, und ich konnte es kaum halten, konnte es kaum bis zur Schüssel tragen. Ich erinnere mich, dass sie sehr schwer waren. Du nimmst es ganz vorsichtig, dass der Verwundete es nicht merkt, und trägst es wie ein Kind ... Besonders, wenn sehr weit oben amputiert wurde, weit überm Knie. Daran konnte ich mich nicht gewöhnen. Ich träumte dauernd, dass ich ein Bein trage ...
    Meiner Mutter schrieb ich nichts davon. Ich schrieb ihr: Alles in Ordnung, ich habe warme Kleider und Schuhe. Sie hatte schon drei an die Front geschickt, sie hatte es schwer ...«
    Maria Seliwestrowna Boshok ,Krankenschwester
    »Geboren und aufgewachsen bin ich auf der Krim ... Einundvierzig beendete ich die zehnte Klasse. Als der Krieg ausbrach, hörte ich in den ersten Tagen Radio ... Ich begriff, dass wir auf dem Rückzug waren ... Ich lief ins Wehrkomitee, wurde aber nach Hause geschickt. Ich lief noch zweimal hin und wurde beide Male weggeschickt. Am achtundzwanzigsten Juli kamen Truppen auf dem Rückzug durch unser Slobodka, und mit denen ging ich ohne jede Einberufung an die Front.
    Als ich den ersten Verwundeten sah, fiel ich in Ohnmacht. Dann ging das vorbei. Als ich das erste Mal im Kugelhagel einen Soldaten holen ging, schrie ich so, dass ich dachte, ich übertönte damit den Gefechtslärm. Dann gewöhnte ich mich daran. Nach zehn Tagen wurde ich verwundet, ich zog den Splitter selber raus und verband mich selbst ...
    Am fünfundzwanzigsten Dezember zweiundvierzig stürmte unsere dreihundertdreiunddreißigste Division der sechsundfünfzigsten Armee eine Anhöhe vor Stalingrad. Der Gegner wollte sie um jeden Preis zurückerobern. Es kam zum Gefecht. Panzer rückten an, wurden aber von unserer Artillerie gestoppt. Die Deutschen wichen zurück, im Niemandsland lag ein verwundeter Leutnant, der Artillerist Kostja Chudow. Die Sanitäter, die ihn herausholen wollten, wurden getötet. Zwei Sani-Schäferhunde (die sah ich da zum ersten Mal) krochen los und wurden ebenfalls getötet. Da nahm ich meine Mütze ab, stand auf und sang, erst leise, dann immer lauter unser Lieblingslied von vor dem Krieg: ›In den Kampf habe ich dich geleitet ...‹ Auf beiden Seiten wurde es still – bei uns und bei den Deutschen. Ich ging zu Kostja, legte ihn auf den Schlitten und brachte ihn zu den Unseren. Ich lief und dachte: Nur nicht in den Rücken, dann lieber ein Kopfschuss. Aber es fiel kein einziger Schuss, bis ich die Unseren erreicht hatte ...
    Uniformen gab es für uns nie genug: Sie waren immer voller Blut. Mein erster Verwundeter war Oberleutnant Below, mein letzter – Sergej Petrowitsch Trofimow, Unterfeldwebel eines Minenwerferzuges. Neunzehnhundertsiebzig kam er mich besuchen, und ich zeigte meinen Töchtern, wo er am Kopf verwundet worden war, da hat er noch heute eine große Narbe. Insgesamt habe ich vierhunderteinundachtzig Verwundete aus dem Feuer getragen. Ein Journalist hat mal nachgerechnet: Ein ganzes Schützenbataillon ... Wir schleppten Männer, die zwei, drei Mal so viel wogen wie wir selbst. Und Verwundete sind noch schwerer. Man schleppt ja nicht nur ihn selber, sondern auch seine Waffe, und dann hat er noch Mantel und Stiefel an. Du lädst dir achtzig Kilo auf und schleppst sie. Wirfst sie ab ... Und gehst den Nächsten holen, wieder siebzig, achtzig Kilo ... Und das fünf, sechs Mal bei einem Angriff. Und selber wiegst du gerade achtundvierzig Kilo – wie eine Ballerina. Heute ist das kaum noch zu glauben ... Ich kann es selbst nicht glauben ...«
    Maria Petrowna Smirnowa (Kucharskaja) ,
    Sanitätsinstrukteurin
    »Das war zweiundvierzig ... Wir hatten einen Kampfauftrag. Überquerten die Frontlinie, machten Halt an einem Friedhof. Die Deutschen, das wussten wir, waren fünf Kilometer entfernt. Es war Nacht, sie warfen die ganze Zeit Leuchtraketen ab. Mit Fallschirmen. Diese Raketen brennen lange und erleuchten ein weites Gelände sehr hell. Der Zugführer führte mich an den Rand des Friedhofs, zeigte mir, von wo die Leuchtraketen abgeworfen wurden, und ein Gebüsch, aus dem Deutsche

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