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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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leid darum, wir versteckten sie in Säckchen. Tagsüber immer in Stiefeln, stolzierten wir wenigstens abends ein bisschen in unseren Schuhen rum, vorm Spiegel. Raskowa sah das – und nach ein paar Tagen kam der Befehl: Alle Frauenkleider nach Hause schicken. Dafür lernten wir das neue Flugzeug in einem halben Jahr beherrschen statt wie in Friedenszeiten in zwei Jahren.
    Bei den ersten Trainingsflügen kamen zwei Besatzungen ums Leben. Vier Särge standen da. Wir heulten Rotz und Wasser, alle drei Regimenter.
    Kommandeurin Raskowa hielt eine Ansprache: ›Freundinnen, wischt euch die Tränen ab. Das sind unsere ersten Verluste. Es wird noch viele geben. Ballt euer Herz zur Faust ...‹
    Später, im Krieg, beerdigten wir unsere Toten ohne Tränen. Wir weinten nicht mehr.
    Wir flogen Jagdflugzeuge. Allein die Höhe war eine schreckliche Belastung für den weiblichen Körper, manchmal wurde der Bauch regelrecht gegen die Wirbelsäule gedrückt. Aber unsere Mädchen flogen und schossen Asse ab, und was für Asse! Wissen Sie, wenn wir kamen, bestaunten uns die Männer: Die Fliegerinnen! Sie bewunderten uns ...«
    Klawdija Iwanowna Terechowa ,
    Hauptmann der Luftstreitkräfte
    »Im Herbst wurde ich ins Wehrkomitee bestellt. Der Chef fragte mich: ›Können Sie springen?‹ Ich bekannte, ich hätte Angst. Er agitierte mich lange für die Fallschirmtruppe: schicke Uniform, jeden Tag Schokolade. Aber ich hatte von klein auf Höhenangst. ›Möchten Sie zur Flakartillerie?‹ Als ob ich gewusst hätte, was das ist. Da schlug er vor: ›Dann schicken wir Sie in eine Partisanenabteilung.‹ – ›Und wie soll ich da Mama nach Moskau schreiben?‹ Da schrieb er mit Rotstift auf meinen Einsatzbefehl: ›Steppenfront‹.
    Im Zug verliebte sich ein junger Hauptmann in mich. Die ganze Nacht stand er in unserem Waggon. Er war schon vom Krieg gebrannt, schon mehrfach verwundet. Er sah mich immerzu an, dann sagte er: ›Verotschka, sinken Sie bloß nicht herab, werden Sie nicht grob. Sie sind so zart. Ich habe schon so viel gesehen!‹ Und noch mehr in der Art, von wegen, dass es schwer ist, im Krieg sauber zu bleiben ...
    Einen ganzen Monat lang war ich mit meiner Freundin unterwegs zur vierten Gardearmee der Zweiten Ukrainischen Front. Als wir sie erreicht hatten, kam der leitende Chirurg kurz aus seinem Zelt, sah uns an und brachte uns ins Operationszelt: ›Das hier ist euer OP-Tisch.‹ Die Sanitätsautos kamen ununterbrochen, große Autos, Studebakers, die Verwundeten lagen auf der Erde, auf Tragen. Wir fragten nur: ›Welche zuerst?‹ – ›Die, die still sind.‹ Eine Stunde später stand ich schon an meinem eigenen Tisch und operierte. Und dann riss es nicht ab ... Tag und Nacht Operationen, dazwischen kurz schlafen, schnell die Augen gerieben, gewaschen, und wieder ab an den OP-Tisch. Jeder Dritte ein Toter. Wir schafften es nicht, allen zu helfen. Jeder Dritte ein Toter ...
    Auf der Bahnstation in Shmerinka gerieten wir in einen schrecklichen Bombenangriff. Der Zug blieb stehen, und wir rannten los. Auch unser Politstellvertreter, dem war am Vortag erst der Blinddarm rausgeschnitten worden, auch der rannte. Die ganze Nacht saßen wir im Wald, versteckten uns, von unserem Zug war nichts mehr übrig. Gegen Morgen durchkämmten deutsche Flugzeuge im Tiefflug den Wald. Wo sollten wir hin? In die Erde kriechen wie ein Maulwurf ging nicht. Ich umklammerte eine Birke: ›Ach, Mama, Mamotschka! Sag bloß, ich muss sterben? Wenn ich überlebe, dann bin ich der glücklichste Mensch auf der Welt.‹ Alle, denen ich das hinterher erzählte, wie ich mich an die Birke geklammert habe, mussten sehr lachen. Es wäre ein Kinderspiel gewesen, mich zu treffen. Ich in voller Größe an die Birke gelehnt, eine Birke ist doch weiß ...
    Den Tag des Sieges erlebte ich in Wien. Wir fuhren in den Zoo, ich wollte unbedingt in den Zoo. Ich hätte mir auch ein Konzentrationslager ansehen können, aber das wollte ich damals nicht ... Ich wollte etwas Schönes ... Aus einer anderen Welt ...«
    Vera Wladimirowna Schewaldyschewa,
    Oberleutnant, Chirurgin
    »Wir waren drei: Mutter, Vater und ich. Als Erster ging Vater an die Front. Mutter wollte mit ihm zusammen gehen, sie ist Krankenschwester, aber sie wurden an verschiedene Orte geschickt. Ich war damals erst sechzehn ... Mich wollten sie nicht nehmen ... Ich ging immer wieder ins Wehrkomitee, und nach einem Jahr wurde ich genommen.
    Wir fuhren lange mit dem Zug. Im Zug saßen außer uns noch Soldaten,

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