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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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die aus dem Lazarett zurückkehrten, darunter auch junge Burschen. Sie erzählten uns von der Front, und wir hörten mit offenem Mund zu. Sie sagten, der Zug würde unterwegs bestimmt beschossen, und wir warteten: Wann geht der Beschuss endlich los? Wir wollten in unserer Einheit sagen können, dass wir unsere Feuertaufe schon hinter uns hatten.
    Dann waren wir am Ziel. Aber wir bekamen keine Gewehre, sondern Suppenkessel und Waschtröge. Lauter Mädchen in meinem Alter; bis dahin waren wir von den Eltern geliebt und verwöhnt worden. Ich war Einzelkind. Und nun mussten wir Brennholz schleppen, den Ofen heizen. Hinterher warfen wir die Asche in den Kessel, statt Seife; die Wäsche war sehr schmutzig, verlaust. Und voller Blut ...«
    Swetlana Wassiljewna Katychina ,
    Soldatin einer Bade- und Wascheinheit
    »Ich erinnere mich noch heute an meinen ersten Verwundeten ... An sein Gesicht ... Er hatte einen offenen Bruch im mittleren Hüftdrittel. Stellen Sie sich vor, der Knochen sticht raus, eine Splitterwunde, alles ist aufgerissen. Theoretisch wusste ich, was zu tun war, aber als ich zu ihm kroch und das sah, wurde mir schlecht, mir wurde übel. Da höre ich: ›Trink einen Schluck Wasser, Schwester.‹ Das war der Verwundete. Er hatte Mitleid mit mir. Ich sehe das Bild noch heute. Nach seinen Worten kam ich zu mir: Ach, dachte ich, du blödes Turgenjew’sches Fräulein! Hier stirbt ein Mensch, und dir zartem Pflänzchen wird übel. Ich riss das Verbandspäckchen auf, deckte die Wunde ab und mir wurde leichter; ich versorgte ihn, wie es sich gehört.
    Wenn ich mir heute so Filme über den Krieg ansehe: Eine Krankenschwester in vorderster Linie, sauber und adrett, nicht in Wattehosen, sondern im Rock, ein Käppi auf dem Kopf. Nein, das stimmt nicht! Wie hätten wir denn Verwundete rausschleppen können, wenn wir so rumgelaufen wären! Man kriecht nicht lange im Rock rum, wenn ringsum lauter Männer sind. Um die Wahrheit zu sagen, Röcke bekamen wir erst zu Kriegsende, für den Ausgang. Da erst bekamen wir auch zum ersten Mal Frauenwäsche statt Männerunterzeug. Wir waren überglücklich. Wir ließen die Feldbluse ein Stück offen, damit man sie sah ...«
    Sofja Konstantinowna Dubnjakowa ,Feldwebel,
    Sanitätsinstrukteurin
    »Ein Bombenangriff ... Alle rennen weg ... Auch ich laufe. Ich höre jemanden stöhnen: ›Hilfe ...‹ Aber ich renne weiter. Ein paar Minuten später begreife ich, ich spüre die Sanitasche auf meiner Schulter. Und Scham ... Von Angst keine Spur mehr! Ich renne zurück: Da stöhnt ein verwundeter Soldat. Ich stürze zu ihm, verbinde ihn. Dann einen zweiten, einen dritten ...
    Das Gefecht endete in der Nacht. Am Morgen fiel frischer Schnee. Darunter lagen Tote ... Viele mit hochgereckten Armen ...«
    Anna Iwanowna Beljai ,Krankenschwester
    »Ich sah den ersten Toten ... Ich stehe da und weine ... Beweine ihn ... Da ruft ein Verwundeter: ›Verbinde mir das Bein!‹ Es baumelt lose im Hosenbein. Ich schneide das Hosenbein ab. ›Leg mir das Bein her! Neben mich.‹ Ich lege es ihm hin. Wenn sie bei Bewusstsein sind, dann darf man ihr Bein oder ihren Arm nicht liegen lassen. Sie nehmen sie mit ...
    Im Krieg dachte ich: Das werde ich nie vergessen. Aber man vergisst ...
    Aber das habe ich im Gedächtnis behalten ... Wie eingebrannt ... Ein junger, gut aussehender Bursche. Tot. Ich hatte gedacht, die Gefallenen würden mit allen militärischen Ehren begraben, aber sie schleppten ihn zu einem Nussbaum. Schaufelten ihm ein Grab ... Ohne Sarg, ohne alles verscharrten sie ihn und schütteten einfach Erde drauf. Die Sonne schien ganz hell, auch auf ihn ... Es war Sommer. Keine Zeltplane, nichts, einfach in Feldbluse und Stiefelhose lag er in der Erde, wie er war, alles nagelneu, er war wohl gerade erst angekommen. Und so haben sie ihn in die Erde gelegt und verscharrt. Die Grube war nicht sehr tief, gerade mal so, dass er reinpasste. Seine Verwundung war nicht groß, aber tödlich – in die Schläfe, es hat kaum geblutet, er lag da wie lebendig, nur sehr blass.
    Nach dem Beschuss begann ein Bombenangriff. Die Stelle wurde bombardiert. Ich weiß nicht, was dort noch übrig blieb ...
    Und in der Umzingelung, wie wurden die Menschen da begraben? Direkt neben uns, neben dem Schützengraben, in dem wir selber saßen, haben wir sie verscharrt, und aus. Da blieb nur ein kleiner Hügel. Und der wurde, wenn nach uns die Deutschen kamen oder Autos, dann wurde der sofort niedergewalzt. Da war dann nur noch ganz

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