Der Krieger und der Prinz
sehen.
Sie hob den Kopf, als Odosse sich dem Wagen näherte, und ihr blinder, schwarzer Blick war so verstörend, dass Odosse vergaß, was sie eigentlich hatte sagen wollen.
»Ich – ich suche nach einem Heiler«, stammelte sie. »Man hat mir gesagt, ich könnte hier einen finden.«
Die Kindfrau bedachte sie mit einem langen Blick aus weit geöffneten Augen. Odosse hatte das Gefühl, als ob sie abgeschätzt würde, und fragte sich, ob sie das Mädchen zufriedenstellen würde. Sie rückte die Trage auf ihrem Rücken zurecht und gewann Trost und Entschlossenheit aus der Anwesenheit der Kinder zurück. Sie brauchten sie.
»Vielleicht«, sagte das Mädchen endlich mit dem fließenden, melodischen Akzent der Vis Sestani. »Falls du bereit bist, ihren Preis zu zahlen.«
»Welchen Preis?«
»Das zu sagen ist an Ghaziel. Möchtest du es wissen?«
»Ja«, erwiderte Odosse nach kurzem Bedenken. Einen Preis zu kennen, bedeutete nicht, ihn auch zu zahlen. Sie konnte sich immer noch weigern, sobald sie wusste, worin er bestand. Und wie hoch konnte er schon sein? Sie hatte herzlich wenig, das sie ihnen geben konnte, und was sie hatte, würde sie mit Freuden für Wistans Gesundheit hingeben.
»Dann komm«, sagte das Mädchen. Anmutig wie ein Eichhörnchen stieg sie vom Kutschersitz herunter und öffnete die Tür des Wagens, wobei sie kein einziges Mal einen Fuß auf den Boden setzte. Sie ließ die Zügel auf dem Sitz liegen, und Odosse öffnete schon den Mund und wollte eine Warnung aussprechen – aber die Ochsen schritten stoisch und gleichgültig weiter, und etwas am Verhalten des Mädchens sagte ihr, dass es so etwas schon viele Male getan hatte.
Also schluckte Odosse ihren Protest herunter, raffte ihre Röcke und kletterte in den Wagen, gefolgt von dem Mädchen.
Im Wagen war es warm und stickig. Es roch stechend nach Gewürzen, die Odosse unbekannt waren. Die Fenster waren mit Läden verschlossen: Es war so dunkel, dass sie ihre eigenen Hände nicht sehen konnte. Sie stolperte, als der Wagen über eine Bodenwelle fuhr, und fiel auf ein Bündel Kleider, aus dem sofort eine Wolke aus Nelkenduft aufstieg. Erschreckt durch ihren Sturz begannen Aubry und Wistan zu weinen.
Das Mädchen hinter ihr sagte leise ein Wort in ihrer eigenen Sprache. Ein Licht erblühte im Wagen. In der Hand des Mädchens lag eine Kugel aus durchsichtigem Glas. Darin schwebte ein blauer Lichtfunke hin und her. Wenn er gegen die Innenwände stieß, prallte er zurück, bis er wieder dagegen stieß. Als das Licht aus der Kugel auf die Gesichter der Babys fiel, verebbten Aubrys kräftiges Geschrei und Wistans stockendes Schluchzen.
Dank des unheimlichen Lichts erkannte Odosse, dass das Innere des Wagens nicht in kleinere Kammern unterteilt war. Aber an Haken in der Holzdecke hingen Vorhänge, die einen Abschnitt des Wagens verbargen. Tuch- und Teppichbündel füllten den größten Teil dessen, was sie sehen konnte. In dem unheimlichen, blauen Licht ließen sich die Farben unmöglich unterscheiden, aber überall blinkte metallische Stickerei, und Kristalle und Glocken glänzten in dem schwachen Schein. Andere Dinge funkelten inmitten des Tuchs: geschnitzte beinerne Stäbe, aus Seil und Haar gewundene Skulpturen und Schüsseln aus Kristall und gewelltem Achat, poliert zu einem seidigen Schimmer.
Auf einem Stoffballen saß eine sehr alte Frau, zu allen Seiten gestützt von weiteren Ballen, sodass sie von einem Thron aus Kissen den Wagen überblickte. Ihr Gesicht war so runzelig wie ein Mittwinterapfel; Falten zogen sich von ihren eingefallenen Wangen herab bis zu einem zahnlosen Mund. Odosse konnte nicht erkennen, ob sie die Augen offen hielt oder nicht oder ob sie überhaupt noch Augen hatte, so tief waren die Schatten, die sich in diesen runzeligen alten Höhlen sammelten.
Sonst war niemand im Wagen. Nur sie mit den Säuglingen, das Mädchen und die alte Vettel.
»Setz dich«, sagte das Mädchen. Sie gestikulierte mit der Kugel in ihrer Hand, und die Schatten tanzten im Rhythmus ihrer Bewegungen.
Im Wagen gab es keine Stühle. Odosse tastete hinter sich, bis ihre Finger auf ein Bündel Decken trafen, dann ließ sie sich schwer darauffallen und zog beide Kinder auf den Schoß. Neben ihr sank das schwarzäugige Mädchen anmutig auf einen zusammengerollten Teppich, wobei sich die Schatten erhoben.
»Sag uns … was ist es, wonach du suchst?«
Odosse räusperte sich, verschränkte nervös die Finger und hielt den Blick auf die alte Frau gerichtet,
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